Cover: Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Renate Deinzer, Olaf von dem Knesebeck (Hrsg.)


2.4.3. Junges und mittleres Erwachsenenalter

 Martin Pinquart 1


1 Psychologie, Philipps Universität, Marburg, Germany

Das junge und mittlere Erwachsenenalter umfasst etwa die Hälfte der menschlichen Lebensspanne. Wer vorher beim Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Behandlung war, muss nun zum Facharzt für Allgemeinmedizin oder zu anderen Fachärzten wechseln, wobei es gilt, eine neue Beziehung zwischen Arzt und Patient aufzubauen. Mehr Kontinuität der ärztlichen Betreuung herrscht beim Übergang in das höhere Lebensalter, wo bisher nur eine Minderheit mit Geriatern in Kontakt kommt. Wissen über Besonderheiten des jungen und mittleren Erwachsenenalters hilft, die Patienten besser zu verstehen, Einflussfaktoren auf ihr Gesundheitsverhalten zu identifizieren und präventive bzw. therapeutische Maßnahmen zu planen. Da sich Studierende der Medizin und Ärzte in der Regel selbst in diesem Altersbereich befinden, soll das Kapitel auch anregen, über das eigene Gesundheitsverhalten zu reflektieren und positives Gesundheitsverhalten der Leser zu fördern.

2.4.3.1. Altersgrenzen und typische Merkmale des jungen und mittleren Erwachsenenalters

Der Beginn des Erwachsenenalters wird rechtlich am Erreichen der Volljährigkeit festgemacht, also ab wann Personen voll geschäftsfähig sind und das aktive sowie passive Wahlrecht haben – in Deutschland mit Vollendung des 18. Lebensjahrs. In der soziologischen Literatur wird der Beginn des Erwachsenenalters anhand von fünf Rollenübergängen definiert [1]: (1) Abschluss der Ausbildung, (2) Auszug aus dem Elternhaus, (3) Beginn der Berufstätigkeit,  (4) Heirat und (5) Geburt des ersten Kindes.

Da – vor allem durch verlängerte Ausbildungszeiten und die damit zusammenhängende Verlängerung der ökonomischen Abhängigkeit von den Eltern – diese Übergänge oft erst nach dem 25. Lebensjahr vollzogen werden, haben einige Autoren ein Stadium zwischen dem Jugend- und Erwachsenenalter definiert, wie etwa das Emerging Adulthood vom 18. bis zum 25. oder 29. Lebensjahr [1]. Diese Zeit ist durch weitgehende Freiheit von den Pflichten des Erwachsenenalters und das Experimentieren mit neuen sozialen Rollen charakterisiert. Die verzögerte Übernahme von Erwachsenenrollen kann auch auf fehlenden individuellen Ressourcen und gesellschaftlichen Gelegenheiten beruhen, wie etwa dem Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Da die oben genannten fünf Rollenübergänge oft erst am Ende des dritten Lebensjahrzehnts oder später – und zum Teil auch gar nicht vollzogen werden, wird Erwachsensein von jungen Menschen selbst am häufigsten am Erreichen der psychischen Reife festgemacht, also z.B. Verantwortung für die Folgen seines Handelns zu übernehmen und nach eigenen Überzeugungen unabhängig von Einflüssen der Eltern oder anderer Personen zu handeln.

Vom mittleren Erwachsenenalter spricht man meist zwischen dem 40. und 59. Lebensjahr [2], allerdings meinen noch viele Personen nach dem 60. oder 65. Lebensjahr, im mittleren Erwachsenenalter zu sein [2]. Im mittleren Erwachsenenalter gibt es weniger normative Rollenveränderungen als beim Übergang zum jungen Erwachsenenalter. Häufige soziale Veränderungen betreffen den Auszug der erwachsenen Kinder aus dem Elternhaus, Großeltern zu werden und die Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Hilfs- oder Pflegebedarf der eigenen Eltern. Hinzu kommt bei Frauen als normative biologische Veränderung das Klimakterium.

2.4.3.2. Stress und Gesundheit im jungen und mittleren Erwachsenenalter

Angesichts der zahlreichen Rollenveränderungen im jungen Erwachsenenalter (und im Emerging Adulthood) ist es nicht verwunderlich, dass junge Erwachsene im Mittel mehr Stress – und hier besonders interpersonellen und berufsbezogenen Stress – erleben als Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter [3]. Insgesamt ist aber die Mehrheit der jungen und mittelalten Erwachsenen mit ihrem Leben zufrieden [4], [5].

Untersucht man Veränderungen der Lebenszufriedenheit im Erwachsenenalter, so findet man diesbezüglich zum Teil ein leichtes Absinken vom jungen zum mittleren Erwachsenenalter. Vom mittleren zum höheren Erwachsenenalter steigt die Lebenszufriedenheit dagegen im Mittel etwas an [4], [5].

Etwa die Hälfte der psychischen Erkrankungen bei Erwachsenen beginnt bereits im Kindes- und Jugendalter [6]. Einige Störungen manifestieren sich aber am häufigsten im jungen Erwachsenenalter. Das Medianalter des Beginns von substanzbezogenen Störungen liegt z.B. bei 20 Jahren (bei der Hälfte der Betroffenen beginnen sie zwischen dem 18. und 27. Lebensjahr) und bei affektiven Störungen bei 30 Jahren (bei der Hälfte der Betroffenen zwischen dem 18. und 43. Lebensjahr). Auch Schizophrenie wird am häufigsten im jungen Erwachsenenalter diagnostiziert.

Die Prävalenz für psychische Störungen ist bei 30- bis 44-Jährigen am höchsten, allerdings kann dies nicht auf besonders hohe Risikofaktoren in diesem Altersbereich zurückgeführt werden, da die Störungen meist schon deutlich früher einsetzten [6].

Im mittleren Erwachsenenalter beginnen oft Probleme im Bereich der körperlichen Gesundheit – wie Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel oder Arthritis – auch wenn diese meist gut behandelbar sind und nur selten mit Funktionseinschränkungen im Alltag einhergehen [4]. So wiesen in einer Studie des Robert Koch-Instituts etwa 19,1% der 18- bis 29-Jährigen eine chronische Erkrankung auf, aber bereits 28,7% der 30- bis 44-Jährigen und 47,8% der 45- bis 64-Jährigen. Der Anteil von Patienten mit Diabetes wuchs von 1% auf 8%, von Patienten mit koronaren Herzerkrankungen von 0,7% auf 6,5% und von Personen mit Adipositas von 6,5% auf 19,4%. Der Anteil der gesundheitlich erheblich Eingeschränkten stieg in diesem Altersbereich von 2,0% auf 12,5% [7].

Junge Erwachsene schätzen ihre körperliche Gesundheit besser ein als mittelalte Erwachsene und diese beurteilen ihre Gesundheit im Mittel besser als Senioren [7].

2.4.3.3. Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen im jungen und mittleren Erwachsenenalter

Junge Erwachsene zeigen im Mittel mehr gesundheitsgefährdende und weniger gesundheitsförderliche Verhaltensweisen als Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter.

So zeigte die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), dass Tabakkonsum und riskanter Alkoholkonsum – wie z.B. Rauschtrinken – im  jungen Erwachsenenalter im Mittel verbreiteter sind als danach [8]. Die DEGS1 fand ebenso – allerdings nur bei Männern –, dass im mittleren Erwachsenenalter mehr Obst und Gemüse konsumiert wurde als im jungen Erwachsenenalter [8]. Ebenso ist Fastfood- und Süßigkeitenkonsum bei jungen Erwachsenen verbreiteter als im mittleren und höheren Erwachsenenalter.

Abbildung 1: In der Zeit des Emerging Adulthood bzw. im jungen Erwachsenenalter wird im Durchschnitt am meisten Alkohol konsumiert. Quelle: Aunt agatha. Helena Blackman, Christian and Gemma, Cardiff, Wales. Wikimedia;2006 Oct 21 [cited 2019 Sep 27]. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 2.0 Deutschland Lizenz; http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/
Abbildung 1: In der Zeit des Emerging Adulthood bzw. im jungen Erwachsenenalter wird im Durchschnitt am meisten Alkohol konsumiert; Bildquelle: [9], lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 2.0 Deutschland Lizenz.

Riskantes Verhalten im Straßenverkehr tritt häufiger im jungen als im mittleren Erwachsenenalter auf, da jüngere Fahrzeugführer unerfahrener sind, sie problematisches Fahrverhalten als weniger riskant bewerten und bei ihnen riskantes Fahrverhalten positivere Gefühle auslöst [10].

Der Anteil sportlich aktiver Personen (die mindestens zwei Stunden pro Woche Sport treiben) ist dagegen im jungen Erwachsenenalter höher als im mittleren Erwachsenenalter [8].

Die größere Verbreitung vieler gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen im mittleren Erwachsenenalter im Vergleich zu jungen Erwachsenen wurde u.a. auf eine Zunahme der Gewissenhaftigkeit sowie auf eine Abnahme von Stress zurückgeführt, so dass man Substanzkonsum oder ungesundes Essen weniger zur Stressbewältigung einsetzt [3]. Damit lässt sich aber nicht erklären, dass im mittleren Erwachsenenalter weniger Sport als im jungen Erwachsenenalter getrieben wird. Deshalb ist eine andere Erklärung naheliegender – nämlich die Vereinbarkeit gesundheitsbezogener Verhaltensweisen mit sozialen Rollen und Verantwortlichkeiten in den jeweiligen Lebensphasen: In Beruf und Familie Verantwortung zu übernehmen und zeitlich gefordert zu sein, ist mit starkem Alkohol- und Nikotinkonsum oder riskantem Fahrverhalten nicht gut vereinbar und lässt auch weniger Zeit für Sport.

Bei den zitierten Studien zum Gesundheitsverhalten ist zu beachten, dass z.T. nur Altersgruppenvergleiche aus Querschnittstudien vorliegen. Hier kann nicht eindeutig geschlossen werden, ob es sich um Entwicklungsprozesse (also mit dem Alter einhergehende Veränderungen) oder um Kohortenunterschiede handelt, da z.B. die heute mittelalten Erwachsenen in ihrer Kindheit und Jugend weniger mit Fastfood-Ketten in Kontakt kamen als heutige junge Erwachsene. Zudem bleibt bei mittleren Altersunterschieden unberücksichtigt, dass es Teilgruppen mit unterschiedlichen Verläufen gibt. So zeigten Analysen solcher Verlaufsmuster, dass die im Mittel beobachtete Abnahme des Alkohol- und Nikotinkonsums beim Vergleich von jungen und mittelalten Erwachsenen nur auf eine Minderheit der Personen zutraf, die ihren Konsum dafür aber deutlich reduzierten. Neben diesen gab es Gruppen mit stabil niedrigem und stabil hohem Konsum sowie auch eine kleine Gruppe, die bis zum Ende des jungen Erwachsenenalters ihren Konsum steigerte [11], [12]. Sowohl der konsistent hohe als auch der im Erwachsenenalter steigende Konsum gingen mit einer schlechteren körperlichen und psychischen Gesundheit [12] und wenig präventivem Gesundheitsverhalten im mittleren Erwachsenenalter einher [11].

2.4.3.4. Auswirkungen alterstypischer Anforderungen auf Gesundheit und Gesundheitsverhalten

Lebensumstände sind in unterschiedlichem Maße förderlich oder hemmend für das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit. Deshalb sollten Ärzte Lebensumstände identifizieren, welche das Risiko für Erkrankungen oder einen ungünstigen Krankheitsverlauf erhöhen, um die Notwendigkeit von Präventionsmaßnahmen abzuschätzen und ihre Patienten bei Bedarf zu gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen zu motivieren. Dies gilt sowohl für Vorsorgeuntersuchungen als auch für die Arbeit mit bereits Erkrankten.

Auszug aus dem Elternhaus

Mit dem Auszug aus dem Elternhaus gehen vorübergehend erhöhte Stressbelastungen und Beeinträchtigungen des Befindens einher [1]. Zudem steigt im Mittel der Alkoholkonsum an, bedingt durch die Abnahme elterlicher Kontrolle und die Zunahme von Gelegenheiten für den Konsum [1].

Berufseinstieg

Das Ausmaß von erlebtem Stress beim Berufseinstieg variiert stark zwischen jungen Erwachsenen, abhängig vom Ausmaß objektiver Stressoren (wie Umfang der Arbeitsstunden) und Personenmerkmalen. So fand z.B. eine Studie, dass zwei und vier Jahre nach Abschluss des Medizinstudiums etwa 10% von konsistent hohem beruflichen Stress berichteten; bei 12% sank und bei 15% stieg das berufliche Stresserleben. Die Mehrheit (63%) war zu beiden Messzeitpunkten wenig gestresst. Personen mit hohem und steigendem beruflichen Stress wiesen zum Studienende eine schlechtere psychische und körperliche Gesundheit auf [13]. Die Aufnahme der Berufstätigkeit geht mit einer Verringerung des Substanzkonsums einher, vor allem dann, wenn man weiter bei den Eltern lebt [1].

Welche Aspekte der Berufstätigkeit Stress auslösen, wird in zwei sich ergänzenden Modellen beschrieben. Nach dem Anforderungs-Kontroll-Modell [14] sind vor allem jene Tätigkeiten belastend, die mit hohen physischen und psychischen Anforderungen einhergehen, jedoch wenig Raum für eigene Entscheidungen und Kontrolle über die Ausübung der Tätigkeit lassen. Nach dem Modell der beruflichen Gratifikationskrise (effort-reward imbalance model) sind Stresssymptome dann zu erwarten, wenn einer großen Anstrengung oder Leistung keine adäquate Belohnung gegenübersteht [15]. Diese Situation wird als Gratifikationskrise bezeichnet. In diesem Modell werden auch Umstände herausgearbeitet, die mit einer ausgeprägten Stressreaktion einhergehen, wie fehlende Arbeitsplatzalternativen, für den Arbeitnehmer ungünstige Arbeitsverträge und eine erhöhte Verausgabungsneigung des Arbeitnehmers in Leistungssituationen. Somit berücksichtigt das Modell beruflicher Gratifikationskrisen nicht nur die eigentlichen Arbeitsumstände, sondern schließt auch die Persönlichkeit der Arbeitnehmer mit ein. Eine Meta-Analyse zeigt, dass beruflicher Stress das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöht, aber der Zusammenhang ist im Mittel nur schwach ausgeprägt (Odds Ratio = 1,23) [16].

Abbildung 2: Das Anforderungs-Kontroll-Modell (A) und das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (B), eigene Darstellung
Abbildung 2: Das Anforderungs-Kontroll-Modell (A) und das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (B); eigene Darstellung nach [14], [15]

Heirat

Die Eheschließung geht kurzfristig mit positiven Veränderungen der Lebenszufriedenheit und einer Abnahme des Substanzkonsums einher [1]. Eine gut funktionierende Ehe ist mit einer besseren körperlichen Gesundheit verbunden, u.a. vermittelt über eine höhere psychische Gesundheit und mehr gesundheitsförderliches Verhalten [17].

Elternschaft

Eltern sind im Mittel mehr gestresst als Kinderlose, mitbedingt durch hohe zeitliche Anforderungen bei der Kinderbetreuung, problematisches Verhalten der Kinder, häufige Verschlechterungen in der Partnerschaftsbeziehung und Konflikte zwischen Familie und Beruf. Elternstress wiederum beeinträchtigt die psychische Gesundheit der Eltern und erhöht bei Müttern z.B. das Risiko für Bluthochdruck [18]. Eltern zu werden geht allerdings im Mittel mit einer Abnahme des Alkohol- und Drogenkonsums einher [1].

Auswirkungen der Elternschaft auf Stresserleben, psychische und körperliche Gesundheit sind bei Alleinerziehenden und Personen, die vor dem Alter von 20 Jahren Eltern werden, besonders negativ, unter anderem wegen geringerer sozialer und materieller Ressourcen. Wenn die Kinder im Erwachsenenalter angekommen sind, erreichen Stressbelastung und psychische Gesundheit der Eltern wieder das Niveau Kinderloser [18].

Konflikte zwischen sozialen Rollen

Stress und gesundheitsbezogene Belastungen entstehen auch, wenn verschiedene soziale Rollen schlecht miteinander vereinbar sind, wie etwa Familie und Beruf (z.B. zu wenig Zeit für den jeweils anderen Lebensbereich zu haben, sich wegen Problemen in einem Bereich nicht gut auf den anderen konzentrieren können). Konflikte zwischen Familie und Beruf sind besonders bei berufstätigen Eltern jüngerer Kinder verbreitet.

Passungsprobleme zwischen Familie und Beruf gehen mit mehr Problemen im Bereich der körperlichen Gesundheit, erhöhter Depressivität und einem erhöhten Konsum psychoaktiver Substanzen einher. Die Zusammenhänge sind aber im Mittel schwach ausgeprägt, mit Korrelationen von r = ,08 bis r = ,28 [19]. Daraus sollte man nicht den Schluss ziehen, dass sich Erwachsene am besten nur auf eine der beiden Rollen beschränken sollten, da Elternschaft und Beruf auch spezifische Entwicklungsmöglichkeiten und Gratifikationen bringen und da Stress in einer Rolle bis zu einem gewissen Grad durch Erfolge in der anderen Rolle kompensiert werden kann. Höhere Autonomie sowie mehr Unterstützung jeweils in der Familie und am Arbeitsplatz tragen zur besseren Vereinbarkeit beider Rollen und zum Erleben bei, dass eine Rolle das Ausüben der anderen Rolle bereichert (work-family enrichment).

Midlife-Krise

Die Annahme einer Krise in der Mitte des Lebens erhielt durch die Arbeiten von Daniel Levinson eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Daniel Levinson nahm an, dass Menschen im Alter von etwa 40 bis 45 Jahren ihr bisheriges Leben, ihre Identität und ihr Wertsystem in Frage stellen, nach einem alternativen Lebensstil suchen, und zunehmend stärker die Endlichkeit ihres Daseins verspüren, da bereits die Hälfte ihres Lebens hinter ihnen liegt. Dies gehe mit zunehmenden psychischen Belastungen einher. Die Midlife-Krise sei ein normativer und notwendiger Schritt beim Erreichen des mittleren Erwachsenenalters.

In einer neueren Studie berichteten aber nur 26% der über 40-Jährigen, eine Midlife-Krise erlebt zu haben. Mehr als die Hälfte der berichteten Krisen wurden zudem vor dem 40. oder nach dem 50. Lebensjahr erlebt. Die meisten Befragten führten ihre Midlife-Krise auf kritische Lebensereignisse (wie Arbeitslosigkeit oder Scheidung) zurück [7]. Der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus wird in der Regel nicht als Krise, sondern eher als Abnahme von Alltagsstress und Gewinn von Freiheiten erlebt, zumindest, sofern Mütter bzw. Eltern ausreichend alternative soziale Rollen haben.

Krisen sind im mittleren Lebensalter weder universell noch häufiger als in anderen Lebensabschnitten zu finden. Sie beruhen zudem meist nicht auf dem Älterwerden, sondern auf Stressoren, die im Erwachsenenalter auftreten können. Anders gesagt, kann im mittleren Erwachsenenalter eine Krise oder Stress entstehen, aber genauso in beliebigen anderen Altersabschnitten.

Klimakterium

Das Klimakterium bezeichnet bei der Frau die Zeit des Übergangs von der reproduktiven zur postmenopausalen Phase. Die Zeitspanne variiert von 3 bis 9 Jahren, wobei der mittlere Beginn der unregelmäßigen Menstruation bei etwa 47 Jahren und das Ausbleiben der Menstruation bei etwa 51 Jahren liegt [20]. Symptome umfassen Hitzewallungen, Scheidentrockenheit, Schlaflosigkeit sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Auch wenn depressive Symptome in Skalen zur Erfassung von Klimakteriums-Symptomen enthalten sind, ist die Befundlage widersprüchlich, ob das Klimakterium mit einer Zunahme depressiver Symptome einhergeht [20]. So sagt das Ausmaß depressiver Symptome vor Einsetzen des Klimakteriums am besten depressive Symptome während des Klimakteriums vorher. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass nicht der Menopause-Status selbst, sondern nur ein lang anhaltendes Klimakterium das Risiko für depressive Symptome erhöht. Wer also recht lange Klimakteriumsbeschwerden erlebt, zeigt eher einen Anstieg depressiver Symptome. Zu den körperlichen Folgen der Menopause gehört u.a. eine Abnahme der Knochendichte, welche wiederum das Risiko für Frakturen erhöht.

Zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr sinkt bei Männern der mittlere Testosteronspiegel um etwa ein Prozent pro Jahr. Da die Ausschüttung der Sexualhormone beim alternden Mann in der Regel nicht vollständig aufhört, wird statt von einer Andropause (analog zur Menopause) oft von einem Partiellen Androgen-Defizit gesprochen, wenn Symptome, wie Libido- und Potenzverlust, Infertilität und der Verlust der Sekundärbehaarung auftreten [21]. Testosterondefizite sind eine wichtige Ursache für erektile Dysfunktion, die in einer deutschen Studie von etwa 2% der 30- bis 39-jährigen Männer, 9,5% der 40- bis 49-Jährigen und 15,7% der 50- bis 59-Jährigen berichtet wurde [22] und für die meisten Betroffenen sehr belastend ist. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen den Symptomen und der Testosteronkonzentration im Mittel gering ausgeprägt, und viele Männer berichten trotz abnehmender Hormonausschüttung wenige oder keine Symptome [21]. Soziale und psychologische Faktoren – wie Leistungsängste oder Beziehungsprobleme – sind also in vielen Fällen die wichtigeren Ursachen für sexuelle Probleme im mittleren Erwachsenenalter, was auch die unbefriedigenden Effekte der Hormonsubstitutionstherapie auf die Sexualfunktion und das Befinden der Männer erklärt [23].

2.4.3.5. Fazit

Junge Erwachsene zeigen zumeist mehr gesundheitsgefährdende und weniger gesundheitsförderliche Verhaltensweisen sowie mehr Stresserleben als Personen im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Neue Anforderungen in den Altersabschnitten beeinflussen hierbei Gesundheitsverhalten und Gesundheitszustand.

Damit ist das junge Erwachsenenalter ein wichtiges Zeitfenster für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention ungünstiger Verläufe.

Eine Übersicht über fundierte und validierte Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung im Erwachsenenalter liefert Kaluza [24]. Trotz hoher Bekanntheit des Begriffs der Midlife-Krise treten Krisen nicht häufiger im mittleren Erwachsenenalter auf als zuvor oder danach.


References

[1] Pinquart M; Grob A. Soziale Übergänge von der Kindheit in das frühe Erwachsenenalter. In: Silbereisen RK, Hasselhorn M, editors. Enzyklopädie der Psychologie: Entwicklungspsychologie des Jugendalters. Göttingen et al.: Hogrefe; 2008. pp. 109-32.
[2] Lachman ME. Development at midlife. Annu Rev Psychol. 2004;55:305-31. DOI: 10.1146/annurev.psych.55.090902.141521
[3] Umberson D, Liu H, Reczek C. Stress and health behaviour over the life course. Adv Life Course Res. 2008;13(1):19-44. DOI: 10.1016/S1040-2608(08)00002-6
[4] Wunder C, Wiencierz A, Schwarze J, Küchenhoff H. Well-being over the life span: semiparametric evidence from British and German longitudinal data. Rev Econ Stat. 2013;95(1):154-67. DOI: 10.1162/REST_a_00222
[5] Lachman ME, Teshale S, Agrigoroaei S. Midlife as a pivotal period in the life course: balancing growth and decline at the crossroads of youth and old age. Int J Behav Dev. 2015 Jan;39(1):20-31. DOI: 10.1177/0165025414533223
[6] Jones PB. Adult mental health disorders and their age at onset. Br J Psychiatry. 2013 Jan;54:5-10. DOI: 10.1192/bjp.bp.112.119164
[7] Robert Koch Institut (RKI). Ergebnisse der Studie "Gesundheit in Deutschland aktuell 2012". Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: RKI; 2014.
[8] Ellert U, Kurth BM. Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Erwachsenen in Deutschland: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) [Health related quality of life in adults in Germany: results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1)]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2013;56(5-6):643-649. doi:10.1007/s00103-013-1700-y
[9] Aunt agatha. Helena Blackman, Christian and Gemma, Cardiff, Wales. Wikimedia; 2006 [cited 2019 Sep 25]. Available from: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Helena_Blackman,_Christian_and_Gemma_-_Cardiff_21Oct2006.jpg
[10] Rhodes N, Pivik K. Age and gender differences in risky driving: the roles of positive affect and risk perception. Accid Anal Prev. 2011 May;43(3):923-31. DOI: 10.1016/j.aap.2010.11.015
[11] Zhang C, Brook JS, Leukefeld CG, De La Rosa M, Brook DW. Lack of preventive health behaviors in the early forties: the role of earlier trajectories of cigarette smoking from adolescence to adulthood. Subst Use Misuse. 2017 Oct;52(12):1527-7. DOI: 10.1080/10826084.2017.1281310
[12] Berg N, Kiviruusu O, Karvonen S, Kestilä L, Lintonen T, Rahkonen O, Huurre T. A 26-year follow-up study of heavy drinking trajectories from adolescence to mid-adulthood and adult disadvantage. Alcohol Alcohol. 2013 Jul-Aug;48(4):452-7. DOI: 10.1093/alcalc/agt026
[13] Buddeberg-Fischer B, Klaghofer R, Stamm M, Siegrist J, Buddeberg C. Work stress and reduced health in young physicians: prospective evidence from Swiss residents. Int Arch Occup Environ Health. 2008 Oct;82(1):31-8. DOI: 10.1007/s00420-008-0303-7
[14] Karasek RA, Theorell T. Healthy work: stress, productivity, and the reconstruction of working life. New York: Basic Books; 1990.
[15] Siegrist J. Effort-reward imbalance at work and cardiovascular diseases. Int J Occup Med Environ Health. 2010;23(3):279-285. DOI: 10.2478/v10001-010-0013-8
[16] Kivimäki M, Nyberg ST, Batty GD, Fransson EI, Heikkilä K, Alfredsson L, et al.; IPD-Work Consortium. Job strain as a risk factor for coronary heart disease: a collaborative meta-analysis of individual participant data. Lancet. 2012 Oct;380(9852):1491-7. DOI: 10.1016/S0140-6736(12)60994-5
[17] Kiecolt-Glaser JK, Newton TL. Marriage and health: his and hers. Psychol Bull. 2001 Jul;127(4):472-503. DOI: 10.1037/0033-2909.127.4.472
[18] Umberson D, Pudrovska T, Reczek C. Parenthood, childlessness, and well-being: a life course perspective. J Marriage Fam. 2010 Jun;72(3):612-29. DOI: 10.1111/j.1741-3737.2010.00721.x
[19] Amstad FT, Meier LL, Fasel U, Elfering A, Semmer NK. A meta-analysis of work-family conflict and various outcomes with a special emphasis on cross-domain versus matching-domain relations. J Occup Health Psychol. 2011 Apr;16(2):151-69. DOI: 10.1037/a0022170
[20] Judd FK, Hickey M, Bryant C. Depression and midlife: are we overpathologising the menopause? J Affect Disord. 2012 Feb;136(3):199-211. DOI: 10.1016/j.jad.2010.12.010
[21] Jakiel G, Makara-Studzińska M, Ciebiera M, Słabuszewska-Jóźwiak A. Andropause - state of the art 2015 and review of selected aspects. Prz Menopauzalny. 2015 Mar;14(1):1-6. DOI: 10.5114/pm.2015.49998
[22] Braun M, Wassmer G, Klotz T, Reifenrath B, Mathers M, Engelmann U. Epidemiology of erectile dysfunction: results of the 'Cologne Male Survey'. Int J Impot Res. 2000 Dec;12(6):305-11. DOI: 10.1038/sj.ijir.3900622
[23] Huo S, Scialli AR, McGarvey S, Hill E, Tügertimur B, Hogenmiller A, Hirsch AI, Fugh-Berman A. Treatment of men for "low testosterone": a systematic review. PLoS ONE. 2016;11(9):e0162480. DOI: 10.1371/journal.pone.0162480
[24] Kaluza G. Psychologische Gesundheitsförderung und Prävention im Erwachsenenalter: Eine Sammlung empirisch evaluierter Interventionsprogramme. Z Gesundheitspsychol. 2006;14(4): 171-96. DOI: 10.1026/0943-8149.14.4.171