3.1. Das deutsche Gesundheitssystem
1 Institut für Medizinische Soziologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Medizinische Fakultät, Düsseldorf, Deutschland
In den Arztpraxen in Deutschland werden jährlich schätzungsweise 74 Millionen Menschen behandelt, während die Krankenhäuser im Jahr circa 19,5 Millionen Fälle stationär versorgen. Um die Gesundheit der Bevölkerung kümmern sich rund 5,3 Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen, was bedeutet, dass mehr als jede/r zehnte Beschäftigte in Deutschland in diesem Sektor arbeitet. Volkswirtschaftlich gesehen, ist das Gesundheitssystem zudem einer der größten Wirtschaftsbereiche überhaupt und das finanzielle Volumen, das es bewegt, ist mit aktuell rund 344 Milliarden Euro Gesamtausgaben größer als der Staatshaushalt vieler europäischer Länder. Diese Zahlen deuten die Größe der Aufgabe an, die das Gesundheitssystem in Deutschland zu bewältigen hat. Um sie zu erfüllen, ist eine komplexe Organisation nötig, die dafür sorgt, dass medizinische Leistungen dort angeboten werden, wo sie gebraucht werden, und die die finanziellen und personellen Ressourcen dafür bereitstellt.
Aber nicht nur die gesellschaftliche Bedeutung des Systems ist enorm, auch für die einzelnen Menschen ist sein Funktionieren von existentieller Bedeutung. Die Möglichkeit, bei Krankheit medizinisch versorgt zu werden, ist eine der großen zivilisatorischen Errungenschaften und war ein wichtiger Garant der ansteigenden Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten. Den Menschen wiederum, die in diesem System arbeiten, bietet es nicht nur Lohn und Brot, sondern – im besten Fall – auch ein interessantes und sinnstiftendes Arbeitsfeld. Allerdings ist das Arbeiten in einem so hochdifferenzierten System alles andere als frei. Komplexe Strukturen bedeuten immer auch Restriktionen für die im System agierenden Patienten und Beschäftigten. Ein Beispiel ist die strikt geregelte Ausbildung, die angehende Mediziner/innen[1] durchlaufen müssen und an deren Aufbau sich gut ablesen lässt, dass hier wenig dem Zufall überlassen wird. Eine Kenntnis der Regeln hilft dabei, Handlungszwänge zu erkennen und gegebenenfalls auch selbst gestalterisch aktiv werden zu können. Der erste Schritt hierzu ist es, sich Grundkenntnisse über den Aufbau des Systems anzueignen. Um nicht mehr, aber auch nicht weniger als diesen Grundaufbau soll es in diesem Kapitel gehen.
[1] In diesem Kapitel geht es ausschließlich um Personengruppen (DIE Ärzte), das Geschlecht spielt keine Rolle. Aus Gründen der Lesbarkeit wird daher mal die weibliche, mal die männliche (Singular-)Form verwendet, um Gruppen zu bezeichnen; gemeint sind dann jeweils alle Menschen dieser Gruppe.