Cover: Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Renate Deinzer, Olaf von dem Knesebeck (Hrsg.)


3.4.1. Definition von Qualität

 Hans-Joachim Hannich 1
Katharina Piontek 1


1 Institute for Medical Psychology, University Medicine Greifswald, Greifswald, Germany

Die Frage nach einer allgemein akzeptierten Definition von Qualität ist schwierig zu beantworten. Der Begriff als solcher ist vielschichtig und schwer zu konkretisieren. Von seinem Ursprung aus dem Lateinischen Qualitas her bedeutet er laut Duden „Beschaffenheit“ oder „Eigenschaft“.

Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen objektiver und subjektiver Qualität. Ein objektives Qualitätsmerkmal ist in der Regel durch naturwissenschaftlich-technische Daten bestimmbar wie beispielsweise die Keimdichte als Maß für die Sterilität im Operationssaal. Gleichzeitig beinhaltet die Qualitätseinschätzung auch immer eine subjektive Bewertung. In objektiver Form spricht man am Beispiel der Einhaltung von Hygienemaßnahmen im Operationsbereich von einer hohen bzw. niedrigen Qualität, aus subjektiver Sicht würde man in dieser Hinsicht die Qualität der Maßnahmen als mehr oder weniger zufriedenstellend bezeichnen. Da die subjektiven Qualitäten nicht direkt erfassbar sind, werden sie indirekt, meist in Form von Befragungen, ermittelt. Ein gängiges Thema für Krankenhausträger ist die Zufriedenheit von Patienten mit der Krankenhausbehandlung, zu deren Erfassung in der Regel Fragebögen und Einschätzungsskalen eingesetzt werden (vgl. Kapitel 3.4.5.).

Objektive und subjektive Qualitätsbewertungen müssen nicht übereinstimmen, sondern können durchaus voneinander differieren. So kann die technische Ausstattung eines Krankenhauses mit den modernsten Diagnose- und Therapiemöglichkeiten für den naturwissenschaftlich ausgerichteten Arzt ein guter Indikator für die im Hause bestehende Behandlungsqualität darstellen. Aus Patientensicht hingegen kann die Freundlichkeit des Pflegepersonals oder eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation für die Zufriedenheit mit der Behandlung ausschlaggebend sein. Beide Perspektiven sind demnach nicht zu vernachlässigende Größen, um die Güte der medizinischen und pflegerischen Angebote zu bestimmen.

Aufgrund ihres letztlich auch immer subjektiven Charakters setzen die Entwicklung und Umsetzung von Qualitätsvorstellungen Begriffsbestimmungen in Form von Zielen, Normen, Standards oder Konsensformulierungen voraus. Dementsprechend ergibt sich nach dem Deutschen Institut für Normung (DIN) die Qualität einer Gegebenheit aus dem Maß, in dem sie festgelegte oder vorausgesetzte Erfordernisse bzw. Anforderungen zu erfüllen vermag. Qualität wird damit immer an einem Standard gemessen, wobei offen bleibt, wer diesen Standard vorgibt. Er kann durch gesetzliche oder fachliche Vorgaben festgelegt sein oder aber durch die Anforderungen desjenigen, der für das Produkt oder die Leistung bezahlt, sprich: der Kunde. Aus dem Maß, in dem diese Ansprüche erfüllt werden, ergibt sich die Qualität des Gelieferten.

Qualität ist demnach keine absolute, sondern eine relative Größe und somit variabel. Sie hängt in hohem Maße von den Kundenansprüchen ab und beinhaltet dabei stets Kosten-Nutzen-Überlegungen. Kunden können je nach Interessenslage unterschiedliche Ansprüche an ein Produkt stellen und in ihren Qualitätseinschätzungen ein- und desselben Gegenstandes weit auseinanderliegen. Auch können externe Faktoren, die beispielsweise durch den jeweiligen sozio-kulturellen oder technischen Entwicklungsstand geprägt sind, die Qualitätsanforderungen beeinflussen. Die Zielvorgaben für eine gute Behandlungsqualität in einem Krankenhaus der Dritten Welt unterscheiden sich sicherlich von denen, die etwa für eine deutsche Universitätsklinik formuliert werden.

Bei der Bestimmung des Qualitätsbegriffs kann zwischen einem produkt-, kunden-, hersteller- bzw. wertorientierten Qualitätsansatz differenziert werden [1]. Eine gute produktorientierte Qualität liegt dann vor, wenn alle vorher als gewünscht definierten Eigenschaften vorhanden sind. So lässt sich die Qualität einer Behandlungsmaßnahme wie beispielsweise einer Operation in diesem Ansatz danach bemessen, in welchem Ausmaß alle medizinisch-technischen Anforderungen erfüllt worden sind. Eine kundenorientierte Perspektive fragt nach der Fähigkeit des Behandlungsangebotes, die Bedürfnisse des Kunden, d.h. des Patienten, zu erfüllen. Kunden- und produktorientierte Qualitätsansprüche können im Fall der Krankenbehandlung zum Teil deckungsgleich sein. So erfüllt die Anforderung an eine gute Produkt-(Behandlungs-)qualität gleichzeitig den kunden-(patienten-)spezifischen Anspruch, das Bestmögliche für seine Heilung einzusetzen. Der Kundenmaßstab kann zudem zusätzliche Kriterien über den Produkt-Ansatz hinaus einbeziehen wie z.B. den Wunsch nach Annahme und Verständnis, nach Identitätswahrung, nach Erholung oder sozialen Kontakten.

Der herstellerorientierte Ansatz sieht den Qualitätsanspruch vor allem in der Einhaltung von Standards erfüllt. Relevante Kriterien für die Geschäftsleitung sind etwa die weitgehende Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, das Fehlen von Schadensersatzklagen oder die Zertifizierung der Einrichtung. Der wertorientierte Qualitätsmaßstab ergibt sich aus der betriebswirtschaftlichen Frage nach den Erlösen aufgrund der Investitionen des Trägers in die produkt- bzw. kundenorientierte Qualitätssicherung (QS).

Da der Patient und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt sämtlicher Krankenhausaktivitäten stehen, kommt nach Fleßa [1] dem kundenorientierten Ansatz im Spektrum der Qualitätskonzepte eine besondere Bedeutung zu. Unter Einbezug des produktorientierten Qualitätsanspruchs als Voraussetzung für eine hohe Kundenorientierung ist er vorrangig zu behandeln. Dem entspricht eine Untersuchung des Picker-Instituts bei einer Stichprobe von einer Million Patienten [2]. Für den Patienten bemisst sich die Qualität der Behandlung an ihrem Erfolg sowie an der Steigerung bzw. Bewahrung der Lebensqualität. Medizinisch-fachliche Aspekte der Behandlung wie die Frage, ob nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik behandelt wurde, sind für die meisten Patienten jedoch nicht beurteilbar. Das trifft auch auf die Einschätzung der Qualifikation von Behandlern zu.

In der Patientenbewertung bildet sich eine Besonderheit ab, die Dienstleistungen im Gesundheitsbereich von denen im industriellen Fertigungsbereich unterscheidet. Anders als dort berührt das medizinisch-pflegerische Angebot mehr oder minder die existentiellen Belange des Patienten. Er ist sowohl Nutznießer der Behandlung als auch derjenige, der im Schadensfall die Folgen zu tragen hat. Bei dem Zustandekommen einer Behandlung fließt demnach immer eine Vielzahl von (oftmals impliziten) Vertrauenskomponenten ein, die dem Patienten die Übergabe der Verantwortlichkeit für das eigene Wohlergehen an den Experten ermöglicht. Diesem Vertrauensvorschuss muss der Gesundheits-Dienstleister sowohl bei der Organisation der Einrichtung als auch bei der Gestaltung des Behandlungsprozesses gerecht werden. Im eigentlichen Sinne gibt er mit seinem Anspruch auf QS das Versprechen ab, alle vorausgehend festgelegten Erfordernisse der Krankenbehandlung zu erfüllen. Zertifikate, Qualitätspreise oder -berichte sollen das Vertrauen in die Einrichtung zusätzlich stärken [3].

In Bezug auf die unterschiedlichen Qualitätsdimensionen (objektiv vs. subjektiv, kunden- vs. produktorientiert) bedeutet eine solche Qualitätszusicherung, die verschiedenartigen Ansätze miteinander zu vereinbaren. Primären Qualitätsmerkmalen, die sich auf Grundanforderungen wie der Gewährleistung objektiver Patientensicherheit im Behandlungsprozess beziehen, ist ebenso zu entsprechen wie sekundären Qualitätsmerkmalen wie z.B. des Patienteneinbezugs in den medizinischen Entscheidungsprozess.

Entsprechend wird von der Gesamtheit der qualitätsrelevanten Merkmale gesprochen, die in einem Qualitätsmanagement-System (QM-System) miteinander zu verbinden und zu „managen“ sind. „Denn die Gesamtqualität kann beeinträchtigt oder gar hinfällig werden, wenn nur ein einziges Merkmal eine schlechte Qualität aufweist – entweder in der subjektiven Beurteilung des Kunden oder objektiv“([4], S. 7).

Diese Orientierung erfordert eine klare Kundendefinition durch den Anbieter. Erst durch die Ermittlung dessen, was der andere als selbstverständlich voraussetzt und zusätzlich erwartet, kann diesem Profil entsprochen werden. Zusätzlich muss das QM sowohl die gesetzlichen Vorgaben berücksichtigen wie auch den Anforderungen aus dem aktuellen Wissensstand der Fachdisziplin genügen. Da die Ansprüche von verschiedenen Kunden an ein und dieselbe Leistung variieren und auch Expertenmeinungen sich voneinander wie auch von denen der Kunden unterscheiden, muss sich der Anbieter um eine Integration der verschieden Anforderungen bemühen, diese gewichten und eine sinnvolle Auswahl treffen.


References

[1] Fleßa S. Grundzüge der Krankenhausbetriebslehre. 2nd ed. Berlin: Oldenbourg; 2013.
[2] Ruprecht TM. Experten fragen - Patienten antworten: Patientenzentrierte Qualitätsbewertung von Gesundheitsdienstleistungen; Konzepte, Methoden, praktische Beispiele. Sankt Augustin: Asgard-Verl. Hippe; 1998.
[3] Pasche S, Schrappe M. Qualitätsmanagement: Begriffe und Konzept. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2001;96(8):497-502.
[4] Piechotta B. PsyQM: Qualitätsmanagement für psychotherapeutische Praxen. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag; 2008. DOI: 10.1007/978-3-540-75742-9