Cover: Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Online Lehrbuch der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie

Renate Deinzer, Olaf von dem Knesebeck (Hrsg.)


3.4.2. Ebenen der Qualitätssicherung

 Hans-Joachim Hannich 1
Katharina Piontek 1


1 Institute for Medical Psychology, University Medicine Greifswald, Greifswald, Germany

Die in den QS-Systemen (QS = Qualitätssicherung) wie EFQM (European Foundation for Quality Management), DIN EN ISO 2000 (Deutsches Institut für Normung, Europäische Normung, Internationale Organisation für Normung) etc. vorgegebenen Standards, deren Erfüllung für die Qualität der medizinisch-pflegerischen Leistung steht, beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen der QS.

Gemäß einem speziell für den medizinischen Leistungsbereich entwickelten Modell von Donabedian [1] können hierbei drei Qualitätsebenen identifiziert werden, für die jeweils eigene Gütemerkmale vorherrschen. Es handelt sich um die Qualitätsebenen von

  • Struktur-,
  • Prozess- und
  • Ergebnisqualität. 

Zu der Strukturqualität zählen die zur Behandlung zur Verfügung stehenden personellen und materiellen Ressourcen. Sie umfasst neben der fachlichen Qualifikation der Behandler die Qualität der Ausrüstung mit Räumen und Geräten als Grundlage der Leistungserbringung. Hinzu treten die infrastrukturellen Gegebenheiten der Einrichtung wie ihre Zugänglichkeit bzw. Erreichbarkeit sowie „weiche“ Faktoren wie das Vorhandensein eines institutionellen Leitbildes im Sinne einer Selbstverpflichtung der Mitarbeiter.

Zu der Prozessqualität gehört die möglichst effektive Verzahnung der aufeinander abgestimmten Behandlungsabläufe. Sie umfasst alle Tätigkeiten im Rahmen der medizinischen, pflegerischen und sonstigen Versorgung und schließt die administrativen Maßnahmen ein. In der Regel setzt sie ein ausführliches Arbeitskonzept voraus, in dem mittels Ablaufplänen, Verfahrensanweisungen und Kennzahlen sämtliche Schritte der Therapiekette soweit wie möglich in ihrem Bezug zueinander beschrieben werden. Auf diese Weise will die Prozessqualität alle Aspekte der Leistungserbringung in der jeweiligen Einrichtung abbilden.

Für die Erfassung von Prozessqualität in einer medizinischen Versorgungseinheit (z.B. Krankenhaus oder Praxis) werden beispielsweise herangezogen: Anamnese- und Untersuchungstechnik, Dokumentation, Therapieverlauf, Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, Gesprächsführung, aber auch Wartezeiten oder Patienten-Informationssysteme. Andere Merkmale erfassen medizinisch-technische Leistungen (z.B. Hygiene, Laborleistungen oder Gerätewartung), die die Therapie flankierend unterstützen. Zudem werden Führungsprozesse wie Personalentwicklung oder Finanzmanagement unter Qualitätsgesichtspunkten evaluiert.

Mit der Frage, wie der Erfolg zustande gekommen ist, leitet die Prozess- zur Ergebnisqualität über. Sie kann anhand objektiver Veränderungen (z.B. des Blutzuckerwertes, der Letalität oder der Komplikationsrate usw.) erfasst werden. Ebenso werden subjektive Kriterien wie Patientenzufriedenheit zur Auswertung herangezogen.

Man geht davon aus, dass die drei Qualitätsdimensionen miteinander verkettet sind. Strukturqualität ist eine notwendige Bedingung für Prozessqualität, diese wiederum bestimmt wesentlich die Ergebnisqualität [1]. Sie wirkt abhängig von ihrem Outcome zurück auf die anderen Qualitätsebenen, indem sie bei Bedarf neue Planungen zur Veränderung von Strukturen und Prozessen initiiert.

Aufgrund seiner Praktikabilität und Anschaulichkeit hat sich das Modell von Donabedian im Gesundheitswesen gut etabliert und findet sich sowohl im stationären als auch ambulanten Bereich der ärztlichen und pflegerischen Versorgung. Dennoch ist kritisch dazu anzumerken, dass der dem Modell zugrundeliegende kausale Zusammenhang zwischen den verschiedenen Qualitätsdimensionen dem komplexen Bedingungsgefüge in der Praxis nicht gerecht wird. Gemäß den Vorstellungen Donabedians würde eine Verbesserung der strukturellen und prozessualen Qualität linear zu einer Steigerung des Ergebnisses führen. Die Erfahrungen des klinischen Alltags zeigen jedoch, dass selbst eine perfekte Durchführung von Behandlungsleistungen nicht zwangsläufig das optimale Behandlungsergebnis herbeiführt.

Der Erfolg medizinischer Maßnahmen hängt stattdessen von einer Vielzahl interagierender Variablen ab, die in den Kategorien von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität nicht bzw. nicht hinreichend beachtet werden. Beispielsweise haben Alter und Geschlecht, Vorerkrankungen, gesundheitsbezogener Lebensstil des Patienten, seine Bereitschaft zur Therapiebefolgung sowie seine individuellen Bewältigungsstrategien einen maßgeblichen Einfluss auf den Endpunkt der Behandlung. Eine eindeutige Zuordnung zwischen erfolgter medizinischer Intervention und Gesundheitszustand ist demnach nicht immer gegeben.

Fleßa [2] weist zudem darauf hin, dass sich die Qualität der Dienstleistung nicht allein auf den kurzfristigen Erfolg am Patienten beschränken darf. Sie muss sich nicht nur am Output, d.h. dem zwischenzeitlichen Ergebnis einer Behandlungs- oder Pflegemaßnahme bei Patienten, sondern auch am Outcome bzw. am Impact messen lassen. Mit dem Outcome ist das Endergebnis im Sinne der Erlangung eines Heilungserfolges gemeint. Der Impact erfasst die langfristige Wirkung über das Individuum hinaus wie z.B. die volkswirtschaftlich feststellbaren Auswirkungen einer Heilung oder die Verbesserung des Gesundheitszustandes einer Bevölkerungspopulation. Am Beispiel der Volkskrankheit Depression könnte demnach der Impact einer verbesserten Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität für diese Erkrankung an einem Rückgang der krankheitsbedingten Ausfallzeiten im Beruf  bzw. der Frühberentungen und den damit zusammenhängenden Kostenersparnissen gemessen werden.

3.4.2.1. Ablauf eines Qualitätsmanagements

Das Bemühen um die Sicherung der Behandlungsqualität beinhaltet die Entscheidung für einen stetigen, sich zyklisch wiederholenden Prozess der Planung, Umsetzung, Ergebnismessung und Verbesserung. Dabei kann man sich an den verschiedenen QM-Modellen wie DIN EN ISO 9001 oder EFQM ausrichten. Sie geben die Struktur und Systematik vor, nach denen das individuelle QM-System aufgebaut werden kann. DIN EN ISO 9001 des Deutschen Instituts für Normung umfasst beispielsweise eine Reihe von Vorgaben, die sich beziehen auf

  • das QM-System: Zusammengefasst in einem QM-Handbuch werden die Anforderungen an den Aufbau eines QM-Systems sowie der Umgang mit der Dokumentation beschrieben,
  • die Verantwortung der Leitung: Sie wird definiert als die Selbstverpflichtung auf die Verwirklichung und Umsetzung des QM-Systems und seiner ständigen Verbesserung,
  • das Management von Ressourcen etwa in Bezug auf den Umgang mit personellen und materiellen Ressourcen,
  • die Produktrealisierung: Sie bezieht sich auf die Ermittlung der Kundenbedürfnisse und anforderungen mit ihren sowohl objektiven als auch subjektiven Qualitätsansprüchen (z.B. objektive Behandlungssicherheit und subjektive Zufriedenheit mit der Betreuung), auf die Lenkung der dazu nötigen Prozesse sowie auf die Einleitung von Auswertungsschritten zur Zielüberprüfung,
  • die Messung, Analyse und Verbesserung: in diesen Bereich fallen die Messungen der Kundenzufriedenheit, die Erfassung von Fehlern, die Entwicklung von Vorbeuge und Korrekturmaßnahmen.

Diese z.T. sehr abstrakten Kapitel müssen konkret mit den Inhalten, die sich aus der Aufgabenstruktur und den Prozessabläufen der jeweiligen Einrichtung ergeben, gefüllt werden. Sie gewährleisten aber eine hohe Einsetzbarkeit des ISO-Systems in einer Vielzahl von Bereichen nicht nur des Gesundheitssektors. EFQM als weiteres QM-System ist ähnlich aufgebaut, beinhaltet aber z.T. Erweiterungen, etwa in Bezug auf die Kundenorientierung. Hier ist als zusätzlicher Qualitätsmaßstab die „Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“ eingeführt.

Nach der Einrichtung des QM-Systems gemäß den jeweiligen Vorgaben (EFQM, DIN EN ISO 9001 u.a.) kann man sich um eine Zertifizierung bewerben. Dazu wendet man sich an Zertifizierungsstellen für Managementsysteme (z.B. an den TÜV oder – falls vorhanden – an Zertifizierungszentren des eigenen medizinischen Berufsverbandes). Solche Stellen sind ihrerseits bei der Trägergesellschaft für Akkreditierung (TGA) unter der Oberaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie akkreditiert. Sie entsenden unabhängige Beurteiler, sog. Auditoren oder Visitoren, die im Rahmen einer Begehung vor Ort den Umsetzungsgrad des jeweiligen QM-Systems in der Einrichtung überprüfen. Dazu werden die QM-Dokumentationen anhand des QM-Handbuches überprüft, Mitarbeiter nach ihren im Rahmen von QM geregelten Aufgaben befragt sowie Stichproben zur Nachweisdokumentation für die Erreichung der im QM-Prozess gesteckten Ziele gezogen. Nach erfolgter Dokumentenprüfung und Visitation wird ein Bericht erstellt und bei Erfüllung der Vorgaben das Zertifikat als Qualitätssiegel ausgestellt. Diese Zertifikate sind zeitlich begrenzt gültig (meistens für 3 Jahre) und bedürfen nach Ablauf der Frist einer Re-Zertifizierung. Die Kosten der Überprüfung und Zertifizierung trägt die beantragende Einrichtung.

Das verliehene Zertifikat dokumentiert nicht nur die praktische Umsetzung von Maßnahmen zur QM, sondern stellt auch nach außen einen Nachweis der umfassenden Bemühungen um QS dar. Es kann somit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Bewerbern im gleichen Behandlungs-bzw. Betreuungssegment bedeuten, so dass sich aus diesem Grunde stationäre und ambulante Einrichtungen verstärkt diesen Anforderungen unterziehen.

Unabhängig von der Hintergrundmotivation ist die QS im Gesundheitswesen Teil der Alltagsrealität geworden. Obwohl nicht mehr daraus wegzudenken, wird sie im ärztlichen Bereich z.T. sehr kontrovers diskutiert. Nach einer Studie von Obermann und Müller [3] stehen rund 25% der Ärzte dem QM überaus kritisch gegenüber, 67% verhalten sich abwartend. Der Haupteinwand ist, dass Prinzipen und Begriffe aus der Wirtschaft und Fertigungsindustrie auf die Aufgaben des Gesundheitswesens übertragen und missverständlich werden – so geschehen, wenn der Patient als „Kunde“ bezeichnet wird. Auch passen diese Begriffe nicht in die Wertekategorien für ärztliches Handeln, die grundsätzlich an der Hilfestellung für kranke Menschen ausgerichtet und somit primär nicht ökonomischer Natur sind.

Dieses Spannungsfeld ist unausweichlich und nicht auflösbar. Es ist aber auch kein Argument gegen QS im medizinischen Bereich. Vielmehr fordert es auf, sich immer wieder neu mit der hochkomplexen Frage nach dem, was einen „guten“ Arzt und eine „gute“ Behandlung ausmacht, zu befassen. Umfassende Qualitätskriterien, die medizinisch-fachliche, psychologisch-kommunikative sowie ökonomische Kriterien in die Betrachtung einfließen lassen, können hierbei eine Hilfestellung leisten.


References

[1] Donabedian A. The Definition of Quality and Approaches to Its Assessment: Explorations in Quality Assessment and Monitoring (Vol. 1). Ann Arbor: Health Administration Press; 1980.
[2] Fleßa S. Grundzüge der Krankenhausbetriebslehre. 2nd ed. Berlin: Oldenbourg; 2013.
[3] Obermann K, Müller P. [Quality management in private practice. A nationwide survey in Germany]. Urologe A. 2007 Aug;46(8):851, 854-8, 860-3.