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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

2366-5017


Dies ist die deutsche Version des Artikels. Die englische Version finden Sie hier.
Gute Ideen für die Lehre
Notfallmedizin

[Die Komplettierung von notfallmedizinischer Weiterbildung und Training: Performance under Pressure]

 Nadja Spitznagel 1
Benjamin Gordon 2
Stephan Hearns 3
Dominik Hinzmann 4
Patrick Meybohm 2
Oliver Happel 2
Carlos Hölzing 2

1 Klinikum Ingolstadt, Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Palliativ- und Schmerzmedizin, Ingolstadt, Deutschland
2 Universitätsklinikum Würzburg, Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfall- und Schmerzmedizin, Würzburg, Deutschland
3 Emergency Medical Retrieval Service (West), ScotSTAR, Paisley, Schottland
4 Technische Universität München, TUM School of Medicine and Health, Department für Klinische Medizin, Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, München, Deutschland

Zusammenfassung

Die kontinuierliche Förderung von berufsrelevanten Fähigkeiten ist aufgrund der täglichen Belastung und dem Arbeiten unter hohem Druck für Notfallmediziner von besonderer Relevanz. Dennoch sind Workshops, die praktische Übungen für einen besseren Umgang mit diesen Arbeitsbedingungen speziell für Notfallmediziner vermitteln, selten. Wir präsentieren hier einen Workshop, der im Rahmen eines Pilotprojekts mit einem Blended-Learning-Ansatz konzipiert wurde. Die Veranstaltung umfasste 10 Stunden und fand über 1,5 Tage statt. Insgesamt nahmen 25 Notfallmediziner daran teil, darunter 22 aus der Anästhesie sowie jeweils ein Teilnehmer aus der Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie und Radiologie. Vor und nach dem Workshop wurden die Teilnehmenden zu ihren Einschätzungen und Erfahrungen mit diesem und ähnlichen Workshops befragt. Die Befragung vor dem Workshop ergab, dass sich alle befragten Akutmediziner bereits in Situationen mit hohem psychischem Druck befanden und die psychische Belastung als entsprechend stark bewerteten. Nach Einschätzung der Teilnehmenden könnte eine Verbesserung ihrer Fähigkeiten im Umgang mit Stress ihre Arbeitsleistung als Notfallmediziner erhöhen. Die Ergebnisse der Befragung nach dem Workshop verdeutlichen, dass die Teilnehmenden das Gefühl hatten, von dem Workshop und den darin erlernten Techniken zur Bewältigung von psychischem Druck in Notfallsituationen zu profitieren und diese in der klinischen Praxis anwenden zu können. Es konnte gezeigt werden, dass dieser und vergleichbare Lehrformate zur Stressbewältigung von Akutmedizinern einen Nutzen haben.


Schlüsselwörter

Notfallmedizin, Stressbewältigung, Weiterbildung, Leistungsfähigkeit unter Druck, Blended Learning, kognitive Werkzeuge, Entscheidungsfindung, mentales Training

1. Kontext und Zielsetzung

Weiterbildung und Training sind essenzielle Bestandteile des kontinuierlichen Lernens für Mediziner. Insbesondere Notfallmediziner sind in ihrem Arbeitsumfeld stetigen Stresssituationen ausgesetzt, die ein schnelles und korrektes Handeln erfordern. Diese Situationen stellen eine anhaltende physische und psychische Belastung dar, die im Berufsalltag bewältigt werden muss. Aktuelle Fortbildungsangebote konzentrieren sich häufig auf technische Fertigkeiten und deren Weiterentwicklung. Um den Anforderungen des Berufes gerecht zu werden ist es allerdings notwendig ergänzende Angebote zu schaffen und Bestehende zu ergänzen, um den spezifischen Anforderungen gerecht zu werden [1], [2], [3]. Vor diesem Hintergrund wurde ein Workshop konzipiert, der darauf abzielt, Akutmediziner besser auf ihre täglichen Herausforderungen und den Umgang mit Drucksituationen vorbereitet. Inhaltlich vermittelt der Kurs Strategien zur Optimierung der individuellen und organisationalen Leistungsfähigkeit. Es werden verschiedene Aspekte behandelt, darunter die Psychologie von Stress und Entscheidungsfindung, der Einfluss von Müdigkeit und Umweltfaktoren sowie der Umgang mit kognitiven Verzerrungen. Zudem wird gezeigt, wie Organisationen durch gezielte Führung, Unternehmenskultur und Teamselektion Hochleistungskulturen fördern können. Praktische Techniken zur Druckbewältigung umfassen Kommunikationsstrategien, kognitive Hilfsmittel wie Checklisten und Maßnahmen zur effektiven Teamarbeit. Ein weiterer Fokus liegt auf der gezielten Vorbereitung durch mentales Training (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Abbildung 1: Überblick über das Workshop-Programm (nur auf Englisch verfügbar)

2. Durchführung

Der hier vorgestellte Workshop basiert auf den theoretischen Grundlagen und Konzepten aus dem Buch „Emergency Mind“ von Dan Dworkis sowie dem „Core Cognition“-Ansatz von Dr. Stephen Hearns. Der Workshop wurde als 1,5-tägige Veranstaltung mit einem Blended-Learning-Konzept und einem Umfang von 10 Stunden entwickelt und durchgeführt. Er umfasst theoretische Grundlagen sowie Gruppenarbeiten und praktische Übungen zu den physiologischen Auswirkungen von Druck auf die medizinische Handlungskompetenz, der effektiven Kommunikation in Stresssituationen, der kritischen Entscheidungsfindung, der Bewahrung von Ruhe und Gelassenheit und dem Einsatz und der Entwicklung von kognitiven Hilfsmitteln. Der genaue Aufbau und das inhaltliche Curriculum sind in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt. Konkret geht es darum, zu verstehen, wie Stress und Druck die Leistung beeinflussen, und dann Techniken zur Erlangung persönlicher Gelassenheit und situative Kontrolle in kritischen Situationen zu erlernen. Ergänzend wird die Entwicklung und Manifestierung zentraler Wertvorstellungen sowie einem Verständnis für Cognitive Bias gelehrt, um auch hier die Leistung und die Fehlerkultur zu verbessern.

3. Evaluation

Die Evaluation erfolgte mittels eines zweiteiligen Fragebogens. Der erste Teil des Fragebogens wurde nach dem Versand der Kursunterlagen und vor Beginn der ersten Lerneinheit im Seminarraum ausgefüllt. Der zweite Teil wurde nach Abschluss der letzten Lerneinheit im Seminarraum ausgefüllt. Der Fragebogen besteht aus einem allgemeinen Teil (A) und einem speziellen Teil (B). Die Fragen zielen darauf ab, vor Beginn des Workshops die Erwartungen an den Workshop, die persönlichen Erfahrungen mit psychischem Druck in Notfallsituationen, die daraus resultierenden Belastungen sowie die Erfahrungen mit bisherigen Trainingsmaßnahmen zu erfassen. Nach Abschluss des Workshops wurden Rückmeldungen zur Erfahrung mit dem Kursinhalt, der Zufriedenheit mit dem Workshop sowie die subjektiv wahrgenommene Verbesserung der Fähigkeiten erfasst.

4. Ergebnisse der Befragung

4.1. Ergebnisse der Befragung vor dem Workshop

Die Ergebnisse der Befragung vor dem Workshop sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst. Alle Teilnehmenden gaben an, dass eine Verbesserung ihrer Stressbewältigungsfähigkeiten ihre Arbeitsleistung als Notfallmediziner positiv beeinflussen könnte. Auf die Frage „Wie häufig haben Sie bereits in Ihrer beruflichen Praxis als Notfallmediziner Situationen erlebt, die mit hohem psychischem Druck verbunden waren?“ antworteten 10% der Befragten mit „gelegentlich“, 60% mit „häufig“ und 30% mit „sehr häufig“ (5-Stufige Likert-Skala 1=nie, 5=sehr häufig). Die Belastung durch derartige stressige Notfallsituationen schätzten die Teilnehmenden im Durchschnitt mit 7,9±0,9 Punkten (Median=8; Skala: 1=wenig belastet, 10=starke Belastung) ein. Ihre eigene Vorbereitung auf stressige Notfallsituationen bewerteten die Teilnehmenden im Mittel mit 6,1±1,8 Punkten (Median=6; Skala: 1=gar nicht vorbereitet, 10=sehr gut vorbereitet). Die eigene Fähigkeit, unter Druck klare Entscheidungen zu treffen, wurde von den Teilnehmenden mit 6,6±1,7 Punkten bewertet (Median=7; Skala: 1=sehr gering, 10=sehr hoch). Die Offenheit der Teilnehmenden für neue Techniken und Strategien zur Stressbewältigung wurde im Durchschnitt mit 9,4±0,9 Punkten eingeschätzt (Median=10; Skala: 1=sehr gering, 10=sehr offen). Insgesamt hatten 70% der Befragten bereits den Wunsch geäußert, an einem Workshop zum Thema Stressbewältigung in Notfallsituationen teilzunehmen. Auf die Frage, welcher Aspekt des Umgangs mit Stress in Notfallsituationen im Workshop am stärksten verbessert werden sollte, antworteten 60% der Teilnehmenden, dass sie die Fähigkeit zur Bewahrung von Ruhe und Gelassenheit in Stresssituationen als den wichtigsten Aspekt betrachteten.

Tabelle 1: Ergebnisse der Befragung vor dem Workshop

Jeweils 60% der Teilnehmenden erwarteten eine Verbesserung des Verständnisses für den Umgang mit Stress sowie ein persönliches Wachstum beziehungsweise eine persönliche Entwicklung durch den Workshop, und 50% erhofften sich das Erlernen neuer Kenntnisse und Fähigkeiten. Alle Befragten erachteten das Erlernen von Techniken zur Stressbewältigung in ihrem Beruf als Notfallmediziner als wichtig (35%) oder sehr wichtig (65%).

4.2. Ergebnisse der Befragung nach dem Workshop

Tabelle 2 [Tab. 2] zeigt die Ergebnisse der Befragung nach dem Workshop. Die Einschätzung der Verbesserung der Fähigkeit, unter Druck klare Entscheidungen zu treffen, lag im Durchschnitt bei 6,2±2,0 (Median=6,5). Die Gesamtbewertung des Workshops wurde mit einem Mittelwert von 8,1±1,6 bewertet (Skala: 10=ausgezeichnet). Auf die Frage „Wie sinnvoll fanden Sie den Workshop? (1=gar nicht sinnvoll, 10=äußerst sinnvoll)“ gaben die Teilnehmenden im Durchschnitt eine Bewertung von 8,5±1,7 ab. Insgesamt 85% der Befragten gaben an, dass die im Workshop vermittelten Strategien ihnen geholfen oder sehr geholfen haben, stressige Notfallsituationen besser zu bewältigen. Alle Teilnehmenden hielten es für wahrscheinlich, dass sie die im Workshop erlernten Strategien in ihrer beruflichen Praxis als Notfallmediziner anwenden werden. Die Einschätzung der eigenen Fähigkeit, unter Druck klare Entscheidungen zu treffen, lag nach dem Workshop im Mittel bei 7,3±1,3 (Median=7; Skala: 10=sehr hoch), was eine Steigerung im Vergleich zu den Bewertungen vor dem Workshop darstellt, auch wenn der Unterschied statistisch nicht signifikant war (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Tabelle 2: Ergebnisse der Befragung nach dem Workshop

Abbildung 2: Fähigkeit, unter Druck klare Entscheidungen zu treffen, im Prä-Post-Vergleich
(1=sehr gering, 10=sehr hoch)

5. Ausblick

Dieses Pilotprojekt unterstreicht das Interesse von Notfallmedizinern, Techniken und Strategien zur Stressbewältigung in Notfallsituationen zu erlernen. Die Ergebnisse der Befragung nach dem Workshop verdeutlichen, dass die Teilnehmenden das Gefühl hatten, von dem Workshop und den darin erlernten Techniken zur Bewältigung von psychischem Druck in Notfallsituationen zu profitieren und diese in der klinischen Praxis anzuwenden. Bestehende CRM/TRM-Kursformate bieten bereits wichtige Grundlagen für die Arbeit in Hochdrucksituationen. Der hier beschriebene Kurs erweitert diesen Ansatz gezielt um individuelle, persönlichkeitsbezogene Komponenten, die Notfallmediziner benötigen, um auch in extrem anspruchsvollen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Zukünftige Studien müssen den Nutzen dieses Workshops als Eingliederung in das Weiterbildungscurriculum von Notfallmedizinern in größerem Rahmen zeigen.

ORCIDs der Autor*innen

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

[1] Cydulka RK, Emerman CL, Shade B, Kubincanek J. Stress levels in EMS personnel: a national survey. Prehosp Disaster Med. 1997;12(2):136-140. DOI: 10.1017/S1049023X00037420
[2] Dworkis D. The Emergency Mind: Wiring Your Brain for Performance Under Pressure. Independently. 2021.
[3] Guise J, Hansen M, O'Brien K, Dickinson C, Meckler G, Engle P, Lambert W, Jui J. Emergency medical services responders’ perceptions of the effect of stress and anxiety on patient safety in the out-of-hospital emergency care of children: a qualitative study. BMJ Open. 2017;7(2):e014057. DOI: 10.1136/bmjopen-2016-014057
[4] Harvey A, Nathens AB, Bandiera G, Leblanc VR. Threat and challenge: cognitive appraisal and stress responses in simulated trauma resuscitations. Med Educ. 2010;44(6):587-594. DOI: 10.1111/j.1365-2923.2010.03634.x
[5] Hearns S. Peak Performance under Pressure: Lessons from a Helicopter Rescue Doctor. Independent Publishing Network; 2019.
[6] Ignacio J, Dolmans D, Scherpbier A, Rethans JJ, Lopez V, Liaw SY. Development, implementation, and evaluation of a mental rehearsal strategy to improve clinical performance and reduce stress: A mixed methods study. Nurse Educ Today. 2016;37:27-32. DOI: 10.1016/j.nedt.2015.11.002
[7] LeBlanc VR, Regehr C, Tavares W, Scott AK, MacDonald R, King K. The Impact of Stress on Paramedic Performance During Simulated Critical Events. Prehosp Disaster Med. 2012;27(4):369-374. DOI: 10.1017/S1049023X12001021