[How good hearing can be cared for – interim results of the scientific accompanying study on the prevention programme “Hearing and communication in long-term care facilities” (Bavaria)]
Carolin Gravel 1Naëmi Budke 1
Karolin Schäfer 2
1 Lehrstuhl für Audiopädagogik, Department Heilpädagogik und Rehabilitation, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Deutschland
2 Pädagogik und Didaktik im Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation, Institut für Sonderpädagogik, Fakultät für Geisteswissenschaften, Universität Duisburg-Essen, Deutschland
Abstract
Background: Increasing demographic change suggests that hearing should be recognized as an important component of health and quality of life, especially in old age. Studies indicate that the likelihood of hearing loss increases with age. This makes the topic of “hearing and communication” particularly relevant for the care sector. However, little research has been done to date on how ear health and hearing care is presented to senior citizens and how the issue is addressed in German long-term care facilities. The prevention programme “Hearing and communication in long-term care facilities” (duration 2021–2024) addresses this research gap.
Methods: The implementation of the prevention programme and the data collection takes place in N=75 long-term care facilities in Bavaria. Four fields of action and the target groups involved are addressed: 1. Structural analysis regarding the topic of “hearing and communication”, 2. Training of employees, 3. Room acoustics accessibility, 4. Healthy hearing of residents. Several survey materials, e.g. questionnaires and checklists, were developed for quantitative data collection within the fields of action. A descriptive evaluation is carried out.
Results: The interim results from N=55 institutions from the project period 10/2021–12/2023 were included in the evaluations presented here. With regard to the room acoustics component, it can be stated that only 1.4% of the rooms inspected can be classified as hearing acoustically accessible. The hearing tests revealed, among other things, that 38.9% of the residents tested had at least one ear impacted with earwax.
Conclusion: The collection and evaluation of the data from the prevention programme will make an important contribution to the assessment of the hearing health of people with age-related hearing loss, which is still receiving little attention. A follow-up study at the end of the programme will examine the extent to which recommendations for improving the hearing situation have been implemented. A systemic approach appears promising, which includes the important personal and environmental structures.
Keywords
presbycusis, long-term care facilities, hearing-loss prevention, hearing care, older adults
1 Einleitung
Laut WHO stellt altersbedingter Hörverlust die größte gesellschaftliche und wirtschaftliche Belastung im Vergleich zu anderen Hörverlusten im gesamten Lebensverlauf dar. Im Zuge des derzeitigen demographischen Wandels sollte daher das Thema Hören als wichtiger Baustein der Gesundheit und Lebensqualität auch bis ins hohe Alter anerkannt werden [1]. Aktuelle und genaue Prävalenzangaben von Schwerhörigkeit in Deutschland und insbesondere für die Gruppe von älteren Menschen ab 60 Jahren liegen momentan nicht vor [2], [3], [4]. Die Autorinnen der Regionalstudie HÖRSTAT (09/2010–09/2012) geben an, dass die auf Bundesebene hochgerechnete Wahrscheinlichkeit (95%-Konfidenzintervalle) für eine Schwerhörigkeit bei 60- bis 69-Jährigen bei 20,3% liegt. In der Altersspanne von 70–79 Jahren liegt der hochgerechnete Wert ca. doppelt so hoch bei 42% und bei den ab 80-Jährigen bei 71,5% [5]. Grundsätzlich zeichnet sich auch in anderen Studien ein Anstieg des Hörverlustes mit steigendem Alter ab [6], [7], [8]. Im Zusammenhang mit einer Hörstörung im Alter, die nur unzureichend behandelt und versorgt wird, stehen die Beeinträchtigung der Teilhabe am sozialen Leben und das erhöhte Risiko von Isolation, Kommunikationsdeprivation und kognitivem Abbau [9], [10], [11], [12]. Gemäß dem dritten UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG3) „Gesundheit und Wohlergehen“ [13] und den Empfehlungen des WHO World Report on Hearing [1] sollte die Ohrgesundheit und die Hörversorgung über die gesamte Lebensspanne hinweg gewährleistet sein und daher ältere Menschen nicht ausschließen. Dies ist insbesondere für den Pflegesektor von hoher Bedeutung. Laut Statistischem Bundesamt waren zum Jahresende 2021 fünf Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Davon lebten 16% in einer vollstationären Pflegeeinrichtung. Gerade hochaltrige Menschen wurden in stationären Pflegeeinrichtungen betreut. Die Hälfte (51%) der dort lebenden Menschen war 85 Jahre und älter [14]. Wie sich die Hörgesundheit und Versorgung mit Hörhilfen von Seniorinnen und Senioren in deutschen Pflegeeinrichtungen darstellt, ist bislang nur unzureichend erforscht. In einer Studie von Ackermann et al. (2006) wurden unter anderem in zwei nordbayrischen Einrichtungen der stationären Altenhilfe N=67 Bewohnerinnen und Bewohner psychologisch und audiometrisch untersucht [15]. Das mittlere Alter der teilnehmenden Seniorinnen und Senioren betrug 81,3 Jahre. Bei über der Hälfte der Teilnehmenden wurde eine leichtgradige (26–35 dB; 17,9%) bis mittelgradige (35–65 dB; 37,3%) Schwerhörigkeit festgestellt. Darüber hinaus wurden im Rahmen eines Leitfadeninterviews N=15 Pflegekräfte aus zwei Pflegeeinrichtungen zu ihren Kenntnissen in Bezug auf Hörbeeinträchtigungen und ihrem Umgang damit befragt. Die Pflegekräfte gaben überwiegend an, dass ihnen Fachwissen zur Thematik Hörbeeinträchtigungen fehle. Außerdem waren die Möglichkeiten des Umgangs mit Kommunikationsproblemen sowie das Handling und die Pflege von Hörhilfen größtenteils unbekannt. Insgesamt schlussfolgern die Autorinnen und Autoren, dass es durch die unzureichende Information und Sensibilisierung für die Thematik „Hören und Kommunikation“ häufig zu Fehleinschätzungen über das Hörvermögen der Bewohnerinnen und Bewohner und die Relevanz von Hörhilfen kommt. In dem Verbundprojekt „zusammenHören“ unter der Koordination der Gesundheitswirtschaft Hannover e.V. wurden im Zeitraum von 2021 bis 2023 in drei Pflegeeinrichtungen unterschiedliche Maßnahmen und Trainings erprobt sowie Hörüberprüfungen und Interviews mit Beteiligten durchgeführt [16], [17]. Insgesamt wurden 58 Hörtests absolviert und dabei in 85% der Fälle ein Hörgerätebedarf festgestellt. Bei 26 Personen wurde die Versorgung mit Hörgeräten zum ersten Mal empfohlen, wobei die Hälfte davon eine Versorgung ablehnte [17]. In sechs Fokusgruppeninterviews mit insgesamt 42 Mitarbeitenden aus Pflege und Alltagsbegleitung wurden neben Unsicherheiten bezüglich des Handlings von Hörgeräten auch Barrieren im Versorgungsprozess beschrieben. Unter anderem würden eine mangelnde fachärztliche Versorgung (HNO) und eingeschränkte Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner zu einer Unterversorgung im Bereich der Hörgesundheit führen. Darüber hinaus wurde mehrfach der Wunsch nach mehr Aufklärung und Schulungen in dem Bereich geäußert [16]. Auch in weiteren Studien und Praxisleitfäden auf nationaler und internationaler Ebene werden Schulungen für Mitarbeitende von Pflegeeinrichtungen als ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Lebenssituation von dort lebenden schwerhörigen Menschen angesehen [9], [15], [18], [19], [20], [21], [22], [23], [24], [25]. An diesem Forschungsstand setzt das Präventionsprogramm „Hören und Kommunikation in Pflegeeinrichtungen“ (Laufzeit 10/2021–09/2024) an. Ein interdisziplinäres Team des Blindeninstituts Würzburg, das zuvor schon erfolgreich das Programm „Sehen in Pflegeeinrichtungen“ implementiert hat, sucht 75 Pflegeeinrichtungen in Bayern auf und leitet vor Ort durch verschiedene Handlungsfelder des Programms. Die wissenschaftliche Begleitung und deskriptive Evaluation des Präventionsprogramms erfolgen durch die Universität zu Köln. Zum einen soll der Ist-Stand zum Themenkomplex Hören und Kommunikation in den Pflegeeinrichtungen ermittelt werden. Zum anderen soll ausgewertet werden, wie hilfreich die Maßnahmen des Präventionsprogramms von den beteiligten Zielgruppen subjektiv empfunden werden und wie nachhaltig die Maßnahmen aus Sicht der Beteiligten nach Abschluss der Intervention implementiert werden können. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf einige prägnante Zwischenergebnisse aus drei Handlungsfeldern des Projektzeitraums 10/2021–12/2023.
2 Material und Methode
Im Rahmen des Präventionsprogramms werden vier relevante Handlungsfelder und darin beteiligte Zielgruppen adressiert. Für die Datenerhebung in den einzelnen Feldern wurden zu Beginn der Projektlaufzeit unterschiedliche Frage- und Dokumentationsbögen sowie Checklisten, z.B. zu Hörtestergebnissen und zur Raumakustik, durch die Universität zu Köln erarbeitet und mit dem Team des Blindeninstituts Würzburg abgestimmt. Die Erhebungsmaterialien werden in den Einrichtungen durch das Präventionsteam ausgegeben und anschließend an die Universität zu Köln zur Auswertung weitergeleitet.
2.1 Strukturanalyse
Das Präventionsteam schickt einen Fragebogen an die verantwortliche Kontaktperson der Pflegeeinrichtung. Dies kann u.a. die Einrichtungsleitung, Leitung des Sozialen Dienstes oder eines Wohnbereichs sein. Der Fragebogen enthält fünf Bereiche: 1. Stammdaten und Pflegeplanung, 2. Netzwerk, 3. Bewohner, 4. Räumliche Ausstattung und 5. Mitarbeitende. Insgesamt sind in den Bereichen 48 Items vorhanden. Die Kontaktpersonen füllen ihn digital oder handschriftlich aus und senden ihn dann zurück an das Präventionsteam (per Post, Mail oder Fax). Die Ist-Analyse dient zum einem dem Präventionsteam als Vorbereitung für den Besuch vor Ort. Zum anderen werden auf diese Weise grundlegende Daten zur Einrichtungs- und Versorgungsstruktur erhoben.
2.2 In-House Schulungen für das Einrichtungspersonal
Die Schulung für das Personal richtet sich an alle Beschäftigungsgruppen in der Pflegeeinrichtung. Das bedeutet, dass die Einrichtungs- und Pflegedienstleitung, Pflegekräfte, Beschäftigte aus der Sozialen Betreuung und der Hauswirtschaft sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Haustechnik und der Verwaltung an der Schulung teilnehmen können. In der Schulung werden niedrigschwellig Informationen u.a. zum Thema Hören und Kommunikation im Alter, Hörgeräteversorgung und Handling von Hörhilfen vermittelt. Ziel ist es, das Personal durch eine Präsentation und Selbsterfahrungsübungen für die Thematik zu sensibilisieren und Basiswissen zu vermitteln.
2.3 Raumakustische Barrierefreiheit
In den teilnehmenden Einrichtungen wird eine Begehung zur raumakustischen Barrierefreiheit durchgeführt. Es ist den Einrichtungen freigestellt, wer an der Begehung teilnimmt. Unter anderem beteiligten sich bisher Pflegekräfte, Personen aus dem Hausmeisterdienst, Einrichtungsleitungen und Personen aus dem Qualitätsmanagement. Die Begehung umfasst die Messung der Nachhallzeit (nach DIN-Norm 18041 „Hörsamkeit in Räumen“) in ausgewählten Räumlichkeiten der Einrichtungen. Unter anderem wurden Aufenthalts- und Veranstaltungsräume sowie Cafeterien und Wohnräume der Bewohnerinnen und Bewohner gemessen. Darüber hinaus werden anhand einer vom Projektteam entwickelten Checkliste Aspekte der raumakustischen Barrierefreiheit durch das Präventionsteam gescreent. Darunter fallen unter anderem die Einhaltung des Zwei-Sinne-Prinzips, eine angepasste Beleuchtungssituation und schalldämmende Elemente. Die Teilnehmenden der Begehung füllen einen standardisierten Fragebogen aus. Dabei sollen unter anderem verschiedene Aussagen zur Raumakustik in den Einrichtungen auf einer Skala von „voll zutreffend“ bis „gar nicht zutreffend“ bewertet werden. Die Ergebnisse der Messungen, die ausgefüllten Checklisten und die Fragebögen der Teilnehmenden werden an das Team der Universität zu Köln für die Auswertung weitergeleitet.
2.4 Hörgesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner
Für die Hörüberprüfungen werden im Vorfeld der Durchführung des Präventionsprogramms Bewohnerinnen und Bewohner mit und ohne Hörhilfen von Verantwortlichen aus der jeweiligen Pflegeeinrichtung ausgewählt. Kriterien für die Auswahl sind zum einen der Verdacht auf das Vorliegen einer Hörminderung (durch Pflegepersonal, Angehörige oder Person selbst geäußert), zum anderen eine bekannte Hörbehinderung und das Vorhandensein von sogenannten „Schubladengeräten“, die nicht (mehr) genutzt werden. Außerdem muss eine schriftliche Einwilligungserklärung vorliegen und die freiwillige Teilnahme der Person gesichert sein. Ein Abbruch der Hörüberprüfung ist zu jeder Zeit ohne Konsequenzen für die Bewohnerinnen und Bewohner möglich. Mithilfe eines vorgeschalteten Anamnesebogens werden grundlegende Daten zu den teilnehmenden Personen durch Fremd- und Selbsteinschätzungen erhoben. Der Bogen wird durch das Personal vor Ort anhand der vorliegenden Dokumentation zu der jeweiligen Person für die Bereiche 1. Allgemeine medizinische Fragen, 2. Fragen zum Alltag und 3. Fragen zu Hörhilfen und zur Versorgung durch einen Hörakustiker/eine Hörakustikerin ausgefüllt (Fremdeinschätzung). Die Items zum Bereich Hörzufriedenheit und hörbezogene Lebensqualität werden zusammen mit den Seniorinnen und Senioren ausgefüllt (Selbsteinschätzung). Die Hörüberprüfungen werden vor Ort von Hörakustikerinnen und -akustikern des Präventionsteams bzw. von kooperierenden mobilen Hörakustikdiensten durchgeführt. Die Ergebnisse aus dem Anamnesegespräch, der Otoskopie, der audiometrischen Messungen und aus dem anschließenden Beratungsgespräch werden auf Dokumentationsbögen festgehalten. Im Beratungsgespräch werden die vorhandenen Ressourcen und Schwierigkeiten, Hör- und Kommunikationsstrategien sowie ggf. Empfehlungen zur Hörgesundheit und Hörhilfenversorgung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern individuell besprochen. Sowohl die Daten aus den Anamnesebögen als auch die Ergebnisse aus den Hörüberprüfungen fließen in die Auswertung ein.
3 Ergebnisse
Für den Projektzeitraum 2021–2023 liegt ein Datenkorpus aus über 2.200 Frage- und Dokumentationsbögen, Checklisten und Messungen vor. Im Folgenden werden exemplarisch einige ausgewählte Zwischenergebnisse aus drei der vier oben beschriebenen Handlungsfelder dargestellt.
3.1 Auswertung der Strukturanalyse
Im Handlungsfeld Strukturanalyse wurden bislang mittels der Fragebogenerhebung Daten aus N=55 Einrichtungen erhoben. Im Durchschnitt leben in jeder Einrichtung 83,9 Bewohnerinnen und Bewohner. Darüber hinaus arbeiten durchschnittlich 79,3 Personen dort. In der Anamnesedokumentation der Seniorinnen und Senioren wird in 37 Einrichtungen der/die behandelnde HNO-Arzt/Ärztin festgehalten. Es wird jedoch lediglich in neun Einrichtungen das Datum des letzten HNO-Besuches bei der Neuaufnahme abgefragt und notiert. In 24 Einrichtungen wird der/die bisher aufgesuchte Hörakustiker/Hörakustikerin aufgeführt. In 31 Einrichtungen wird diese Information nicht erfasst. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Versorgungsstrukturen im Bereich Hören und Kommunikation zum Erhebungszeitpunkt in vielen Fällen nicht umfänglich dokumentiert werden.
3.2 Überprüfung der raumakustischen Barrierefreiheit
Im Rahmen der Überprüfung der raumakustischen Barrierefreiheit wurde in N=217 Räumen die Nachhallzeit nach der DIN-Norm 18041 gemessen. Dazu zählen auch Räumlichkeiten in Neubauten. Insgesamt erfüllen bisher nur drei Räume (1,4%) die Norm. Aus den Checklisten der Begehung aus N=55 Einrichtungen lässt sich schließen, dass schallabsorbierende Bauteile, wie zum Beispiel eine Deckenabhängung, Schallschutzdecken, ein Deckensegel oder Wandpaneele, nur in jeweils knapp 30% der überprüften Essbereiche, Veranstaltungs- und Aufenthaltsräume vorhanden sind (Abbildung 1 [Abb. 1]).
Abbildung 1: Prozentuale Verteilung Vorhandensein von schallabsorbierenden Bauteilen in Essbereich, Veranstaltungs- und Aufenthaltsräumen
Insgesamt deuten die bisherigen Auswertungen darauf hin, dass die Gestaltung eines Großteils der Räumlichkeiten in den Pflegeeinrichtungen zum Erhebungszeitpunkt nicht auf die Bedarfe von hörbeeinträchtigten Personen ausgerichtet ist.
3.3 Überprüfung der Hörgesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner
In die bisherige Auswertung des Handlungsfeldes Hörgesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner flossen N=385 Anamnesebögen ein. Das daraus berechnete Durchschnittsalter der zur Hörüberprüfung angemeldeten Bewohnerinnen und Bewohner beträgt 87,9 Jahre. Als Bestandteil der Hörüberprüfung wird eine Otoskopie durchgeführt. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen in den jeweiligen Kontrollanamnese- und Beratungsfragebögen Daten zu N=365 Personen vor. In 38,9% dieser Fälle liegt eine Verlegung mit Cerumen mindestens eines Ohres vor. Die Hörüberprüfungen der freien Ohren der Personen haben ergeben, dass bei den Seniorinnen und Senioren durchschnittlich ein mittlerer Hörverlust rechts von 56,89 dB und links von 55,92 dB vorliegt (Abbildung 2 [Abb. 2]).
Abbildung 2: Verteilung der gemessenen Hörverluste (N=261, nur freie Ohren getestet)
Nur bei einer getesteten Person liegt kein Hörverlust vor. 52,7% der Personen, bei denen ein Hörverlust festgestellt wurde, besitzt keine Hörhilfe.
4 Diskussion
Insgesamt verdeutlichen die bisher ausgewerteten Daten, dass Hörbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen von den meisten Pflegeeinrichtungen nicht ganzheitlich betrachtet werden. Zwar werden Hörbeeinträchtigungen für die Stammdaten abgefragt, Kenntnisse zur aktuellen Betreuung durch eine/n HNO-Arzt/Ärztin und durch eine/n Hörakustiker/Hörakustikerin sind in vielen Fällen jedoch nicht vorhanden. Zu einer ganzheitlichen Betrachtung zählen neben der Versorgung der hörgeschädigten Person auch die Perspektive und Kompetenzen der Beschäftigten in diesem Bereich sowie die raumakustischen Gegebenheiten in der Pflegeeinrichtung. Das bedeutet, dass Hörgesundheit im Pflegekontext als Querschnittsthema auf unterschiedlichen Ebenen anerkannt und berücksichtigt werden muss. Die Begehungen zur raumakustischen Barrierefreiheit und objektiven Messungen ergaben, dass ein großer Bedarf an Aufklärung und Verbesserungen in diesem Bereich besteht. Die Zwischenergebnisse der Hörüberprüfungen deuten auf eine Unterversorgung im Bereich Ohrgesundheit und Hörhilfenversorgung bei der Zielgruppe hin. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei den für die Hörüberprüfung ausgewählten Bewohnerinnen und Bewohnern in den meisten Fällen Problematiken in der Kommunikation und bezüglich des Hörens bekannt waren bzw. vermutet wurden. Eine repräsentative Untersuchung aller Bewohnerinnen und Bewohner kann im Rahmen des Projektes nicht geleistet werden. Um die Nachhaltigkeit des Programms zu prüfen, wird mit einem Abstand von mindestens sechs Monaten ein Follow-up in jeder Einrichtung angestrebt. Hier soll unter anderem geklärt werden, ob in der Zwischenzeit empfohlene Arzt- und Akustiktermine wahrgenommen wurden und ob die Einrichtungen niedrigschwellige Empfehlungen zur Verbesserung der Raumakustik vorgenommen haben.
5 Schlussfolgerung
Die Zwischenergebnisse des Projekts „Hören und Kommunikation in Pflegeeinrichtungen“ deuten darauf hin, dass das Präventionsprogramm eine Komponente zur Verbesserung der Hörsituation dieser Zielgruppe sein kann. Für eine nachhaltige und langfristige Verbesserung und in Übereinstimmung mit internationalen Empfehlungen erscheint ein systemischer Ansatz unter Einbezug der verschiedenen Beteiligten und Verantwortlichen im Pflegesektor vielversprechend.
Anmerkungen
Konferenzpräsentation
Dieser Kurzbeitrag wurde bei der 26. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie präsentiert und als Abstract veröffentlicht [26].
Förderung
Die hier beschriebene Begleitstudie der Universität zu Köln, Professur für Audiopädagogik, wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (München) gefördert. Die Kosten für die Durchführung des Präventionsprogramms übernehmen die beteiligten Pflegekassen bei der AOK Bayern, den Betriebskrankenkassen in Bayern, die IKK classic, die KNAPPSCHAFT und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau – SVLFG als Landwirtschaftliche Pflegekasse im Rahmen der Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI.
Interessenskonflikte
Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
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