[Programmentwicklung und erste Erfahrungen mit dem Online-Angebot „Erste Hilfe Kasten – Allgemeinmedizin“]
Sabine Seiler 1Frederik Schelter 1
Eberhard Nöfer 2
Marco Roos 1
1 Universität Augsburg, Medizinische Fakultät, Allgemeinmedizin, Augsburg, Deutschland
2 Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg, Integrative Gesundheitsförderung, Coburg, Deutschland
Zusammenfassung
Zielsetzung: Ziel dieses Projekts ist es, Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung (ÄiW) in der Allgemeinmedizin durch ein modulares Ausbildungsprogramm in einer E-Learning-Umgebung betriebswirtschaftliche Kenntnisse in der Praxisführung zu vermitteln und dadurch eine wichtige Barriere zur hausärztlichen Niederlassung zu reduzieren.
Methodik: Zur Konzeptentwicklung wurde eine Bedarfsanalyse (Interviews mit Fachärztinnen und Fachärzten, AiW und Medizinstudierenden) mit Lehr- und Informationsmaterialien der ärztlichen Selbstverwaltung kombiniert.
Ergebnisse: Das entwickelte E-Learning-Konzept besteht aus zwölf in sich geschlossenen Modulen, die verschiedene Formate (Lehrbriefe, Videos, vertonte Folienpräsentationen und Checklisten) zur Wissensvermittlung und Reflexion beinhalteten. Bis Mai 2024 haben insgesamt 72 Teilnehmende das Angebot zu nutzen begonnen. Die von den Teilnehmenden initial genannten Bedarfe decken sich in hohem Maße mit den angebotenen Inhalten. Bisher wurde die Möglichkeit eines Feedbacks zur Anpassung der Inhalte oder Fragen zum Inhalt nicht genutzt.
Schlussfolgerung: Mit dem hier vorgestellten modularen E-Learning-Angebot liegt ein Konzept vor, das betriebswirtschaftliche Themen der hausärztlichen Niederlassung abdeckt und einen Beitrag leisten kann, diese wichtige Barriere zu reduzieren.
Schlüsselwörter
Allgemeinmedizin, Weiterbildung, E-Learning, Betriebswirtschaft
Einleitung
Die wohnortnahe hausärztliche Versorgung ist bedroht. Die demographische Entwicklung und der Fachkräftemangel deuten auf eine Bedarfslücke von bis zu 3000 Hausärzten in den nächsten zehn Jahren hin [1]. Für Studierende scheint eine vertragsärztliche Tätigkeit im ambulanten Bereich attraktiv [2]. Eine selbstständige Niederlassung von neu qualifizierten Fachärztinnen und Fachärzten wird jedoch durch Ängste vor wirtschaftlicher Verantwortung, möglicher Regressforderungen, einer höheren Arbeitsbelastung und fehlender Flexibilität der Arbeitsgestaltung erschwert [3], [4], [5], [6], [7], [8]. Ein Schulungsprogramm für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) in der Allgemeinmedizin, welches ihnen die Grundzüge der Betriebswirtschaft näherbringt, ist nicht regelhaft vorhanden.
Projektbeschreibung
Das hier vorgestellte Projekt hat zum Ziel, ÄiW in der Allgemeinmedizin durch ein selbstgesteuertes E-Learning betriebswirtschaftliche Kenntnisse in der Praxisgründung und -führung zu vermitteln und so eine der wichtigsten Barrieren zur vertragsärztlichen Niederlassung zu reduzieren.
Konzeptplanung und -entwicklung
Gemäß dem Kern-Zyklus zur Curriculumsentwicklung wurde zunächst eine Bedarfsanalyse durchgeführt [8]. Dafür wurden Interviews mit niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten (ex post Ansicht), ÄiW und Medizinstudierenden (ex ante Ansicht) erhoben. Die Ergebnisse wurden mit Inhalten aus Lehr- und Informationsmaterialien der ärztlichen Selbstverwaltung verglichen und ergänzt. Das daraus entstandene Konzept besteht aus zwölf Modulen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Didaktisch wurde einerseits ein Lernpfad angelegt, der Vorwissen aktiviert (Videosequenzen mit Expertenmeinungen aus der Praxis oder kurze Fragebögen zur Selbsteinschätzung), Impulse zum Wissensaufbau gibt (wie z.B. Lehrbriefe, vertonte Folienpräsentationen) und zur Reflexion/Anwendung anregt (Zusammenfassungen oder Checklisten für den Transfer auf die eigene Situation) (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Andererseits wurde auch eine Lernumgebung geschaffen, die je nach Präferenz des Lerntyps unterschiedliche Möglichkeiten des Selbststudiums anbietet. Das neue Angebot wird durch das Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB) zur Verfügung gestellt.
Abbildung 1: Modulkonzept im Überblick
Abbildung 2: Formate des Modulkonzepts
Das Modulkonzept wird auf einer Online-Lernplattform (initial ILIAS© jetzt moodle) abgebildet. Ziel soll eine Bearbeitung des gesamten Programms in 12 Wochen (Praxisquartal) sein. Die Module sind in sich geschlossen und können auch losgelöst voneinander bearbeitet werden. Die Lernumgebung soll den Lernenden maximale Freiheit in der individuellen Bearbeitung der Moduleinheiten ermöglichen.
Erste Erfahrungen mit dem Online-Angebot
Seit Dezember 2023 ist das Online-Angebot für ÄiW [https://iam-augsburg.de] erreichbar und kostenfrei nutzbar. Bis Ende Mai 2024 haben 72 Teilnehmende das Programm begonnen (55% weiblich, 45% männlich). Alle haben die Eingangsbefragung ausgefüllt. Über zwei Drittel der Teilnehmenden befinden sich aktuell in der Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).
Tabelle 1: Angabe der Weiterbildung der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden erhalten zu Beginn die Möglichkeit, in Freitextantworten ihre Bedarfe in Bezug auf eine Praxisführung zu äußern. Es wurden bisher 101 Bedarfe angegeben. Die Teilnehmenden sehen mit etwa einem Viertel der Nennungen die größten Lücken in der Praxisführung bei betriebswirtschaftlichen Themen.
Auf den folgenden Plätzen mit über 10% der Nennungen liegen Themen zur Abrechnung, Personalmanagement und rechtliche Themen (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).
Tabelle 2: Genannte Bedarfe in der Praxisführung in Freitexten
Erstes Fazit
Das hier vorgestellte E-Learning-Angebot bietet ÄiW in der Allgemeinmedizin, die eine vertragsärztliche Niederlassung anstreben, die Möglichkeit, in 12 Modulen einen Überblick über alle relevanten Themen der Praxisführung zu erhalten. Zusätzlich konnten wir beobachten, dass das öffentliche Angebot auch von ÄiW anderer Fachrichtungen genutzt wird, die eine vertragsärztliche Niederlassung anstreben. Damit wird eine für den deutschen Kontext in der Literatur mehrfach genannte Barriere für eine vertragsärztliche Niederlassung adressiert [3], [4], [5], [6], [7], [8]. Ein Vorteil des hier vorgestellten Konzeptes könnte in der orts- und zeitunabhängigen Möglichkeit der Bearbeitung liegen.
Die von den Teilnehmenden eingangs formulierten Bedarfe für die Praxisführung decken sich in hohem Maße mit den Inhalten der Module. Natürlich muss kritisch geprüft werden, ob die Teilnahme im Sinne eines Selektionsbias von denen genutzt wird, die in diesen Themen ein hohes persönliches Defizit wahrnehmen oder Unsicherheit verspüren.
Durch die frühzeitige Einbindung der Zielgruppe und der in der vertragsärztlichen Versorgung Tätigen in die Bedarfsanalyse der Konzeptionsphase konnte auf mögliche Herausforderungen reagiert werden. Zudem sorgte die Übereinstimmung mit der vorhandenen Literatur dafür, dass potenzielle Probleme effektiv adressiert wurden. Einschränkend muss festgehalten werden, dass das E-Learning-Angebot eine Möglichkeit des Selbststudiums darstellt und damit keine praktische Anwendung oder Auseinandersetzung mit Kolleginnen und Kollegen beinhaltet. Diese Option wurde jedoch von den Teilnehmenden bisher nicht angefragt, obgleich dies in den Modulen möglich ist. Es erscheint ebenso plausibel, dass das Angebot genutzt wird, um einen Überblick zum Thema zu erhalten. Dadurch können die Teilnehmenden spezifisch weitere Angebote, wie die Seminarreihe des „Werkzeugkasten Niederlassung für Hausärztinnen und Hausärzte“ des Hausärztinnen und Hausärzteverbands oder auch die Angebote der verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder, nutzen.
Take Home Message
Mit dem hier vorgestellten modularen E-Learning-Angebot liegt ein Konzept vor, das betriebswirtschaftliche Themen der hausärztlichen Niederlassung abdeckt und einen Beitrag leisten kann, diese wichtige Barriere zu reduzieren.
Anmerkungen
ORCID des Autors
Marco Roos: [0000-0003-1596-5908]
Förderung
Die Studie wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) finanziell gefördert (Bescheid Nummer: G31c-G8060-2018/40-13).
Danksagung
Wir bedanken uns bei allen Personen, die zum Inhalt dieses Angebots beigetragen haben. Insbesondere gilt unser Dank Frau Dr. Beate Reinhardt und Frau Prof. Astrid Nöfer, durch deren Initiative und Idee dieses Projekt entstanden ist.
Interessenkonflikt
Die Autor*innen erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
[1] Kassenärztliche Bundesvereinigung. Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018: Bericht der Universität Trier. Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung; 2019. Zugänglich unter/available from: https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf[2] Jacob R, Kopp J, Schwan L, Schreiber S. Berufsmonitoring Medizinstudenten 2022: Ergebnisse einer Befragung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung; 2022. Zugänglich unter/available from: https://docplayer.org/231482136-Berufsmonitoring-medizinstudenten-2022-ergebnisse-einer-befragung-in-deutschland-frankreich-und-der-schweiz.html
[3] Niehus H, Berger B, Stamer M, Schmacke N. Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung in der Perspektive des ärztlichen Nachwuchses und niedergelassener Hausärztinnen und Hausärzte: Abschlussbericht. Bremen: Universität Bremen; 2008. Zugänglich unter/available from: https://www.akg.uni-bremen.de/pages/orig/projektBeschreibung.php%3FID=3.html
[4] Steinhäuser J, Joos S, Szecsenyi J, Götz K. Welche Faktoren fördern die Vorstellung sich im ländlichen Raum niederzulassen? [Which Factors Increase the Perception of Settling a Family Practice in Rural Areas?]. ZFA (Stuttgart). 2013;89:10-15. DOI: 10.3238/zfa.2013.0010-0015
[5] Ludwig K, Machnitzke C, Kühlein T, Roos M. Barriers to practicing General Practice in rural areas - Results of a qualitative pre-post-survey about medical students during their final clinical year. GMS J Med Educ. 2018;35(4):Doc50. DOI: 10.3205/zma001196
[6] Barth N, Linde K, Schneider A. Niederlassungsmotive - Die Bereitschaft zur Niederlassung in eigener Praxis von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin [The Motivation for Physicians in Training as Specialists in General Medicine to Open their Own Surgery]. Gesundheitswesen. 2017;79(8-09):638-644. DOI: 10.1055/s-0035-1547299
[7] Zwierlein R, Portenhauser F, Flägel K, Steinhäuser J. Determinanten der Niederlassung als Allgemeinmediziner - eine qualitative Studie [Determinants of Setting up a General Practice - a Qualitative Study]. Gesundheitswesen. 2020;82(6):527-533. DOI: 10.1055/a-1076-7848.
[8] Thomas PA, Kern DE, Hughes MT, Tackett SA, Chen BY, editors. Curriculum development for medical education: A six-step approach. Baltimore: Johns Hopkins University Press; 2022.