[Auswirkungen von Veränderungen im Zulassungsverfahren für das Medizinstudium auf den Studienerfolg: Eine vergleichende Analyse an der Medizinischen Hochschule Hannover]
Stefanos A. Tsikas 1Volkhard Fischer 1
1 Medizinische Hochschule Hannover, Studiendekanat – Evaluation & Kapazität, Hannover, Deutschland
Zusammenfassung
Hintergrund: Zum Studienjahr 2020/21 griffen Änderungen in den Zulassungsverfahren zum Medizinstudium, die im Auswahlverfahren (AdH) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) eine reduzierte Bedeutung der Abiturnote zugunsten von TMS und Berufsausbildung sowie geleisteten Diensten als nicht-kognitive Kriterien zur Folge hatte. Die Wartezeit-Regelung (WQ) wurde durch eine „Zusätzliche Eignungsquote“ (ZEQ) ersetzt, in der die Abiturnote als Kriterium entfällt und Berufserfahrene gemäß TMS-Ergebnis eingestuft wurden. In diesem Artikel wird untersucht, ob und wie sich diese Änderungen auf den Studienerfolg in den ersten zwei Jahren des Medizinstudiums ausgewirkt haben.
Methoden: Verglichen werden die Kohorten 2020 & 2021 (neues Zulassungsverfahren) mit den letzten drei Jahrgängen, die über das alte Zulassungsverfahren an die MHH gekommen sind. Als Dimensionen von Studienerfolg betrachten wir Abbrüche, Studienfortschritt (wurde der 1. Abschnitt in Regelstudienzeit beendet?) und Prüfungserfolg in allen schriftlichen Modulprüfungen der ersten beiden Studienjahre. Die Quote der Abiturbesten (AQ) verwenden wir als Referenzgruppe. Mit ANOVA und komparativen Statistiken untersuchen wir Veränderungen innerhalb der Quoten, aber auch, ob sich die Änderungen auf die Unterschiede zwischen den Gruppen ausgewirkt haben.
Ergebnisse: Die Änderungen im Zulassungsverfahren haben zur Folge, dass ZEQ und AdH mit signifikant schlechteren Abiturnoten immatrikuliert werden. In allen betrachteten Quoten sinken die Abbruchquoten, jedoch nicht signifikant. ZEQ beenden den 1. Abschnitt deutlich häufiger pünktlich als WQ. Die ab 2020 Zugelassenen in AdH erreichen signifikant höhere Punktzahlen in Prüfungen als die Kohorten 2017-2019 und schließen zu den Abiturbesten auf. Beide Gruppen schneiden stets besser in Prüfungen ab als WQ/ZEQ.
Diskussion: Die Abiturnote als Auswahlkriterium ist historisch ein guter Prädiktor für Studienerfolg, jedoch gibt es in den letzten Jahren eine Inflation exzellenter Schulabschlüsse. Wir haben gezeigt, dass eine gewisse Abkehr vom Abitur hin zu Studierfähigkeitstests und sogar klar nicht-kognitiven Kriterien Studienerfolg im Medizinstudium nicht gefährdet. Ganz im Gegenteil finden wir eine Tendenz hin zu mehr Studienerfolg bei ZEQ und AdH. Der Abstand zu AQ bleibt jedoch beträchtlich.
Schlüsselwörter
Medizinstudium, Studierendenauswahl, Studienerfolg, Berufserfahrung
1. Einleitung
1.1. Hintergrund
Die Anzahl der verfügbaren Studienplätze in der Humanmedizin und Zahnmedizin in Deutschland wird auf Grundlage der Aufnahmekapazität ermittelt, die sich aus dem verfügbaren wissenschaftlichen Personal und den Patientenzahlen ergibt. Diese Regelungen sollen das Grundrecht auf freie Berufswahl in öffentlich finanzierten Studiengängen gewährleisten und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung sowie die damit verbundenen Kosten in Balance halten [https://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html], [http://www.schure.de/22220/kapvo.htm]. Allerdings sind die dafür geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen nicht immer widerspruchsfrei [1], weshalb sie fortlaufenden Änderungen unterliegen, die wiederum die Struktur und den Erfolg von Studiengängen beeinflussen können.
Trotz erheblicher Investitionen in Personal- und Finanzressourcen im Vergleich zu anderen Studiengängen bleibt die Anzahl der verfügbaren Plätze deutlich hinter der Nachfrage von Studieninteressierten zurück. Da die staatlichen medizinischen Fakultäten verpflichtet sind, die zukünftige Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheitsversorgung sicherzustellen, sind die Auswahl der geeignetsten Bewerber und eine niedrige Abbruchquote von großer Bedeutung. Weil die Gestaltung und Struktur medizinischer Studiengänge stark durch gesetzliche Vorgaben reguliert sind, wurde diesem Thema bislang relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl es Hinweise auf einen erheblichen Einfluss der Gestaltung von Studiengängen auf den Studienerfolg gibt [2], [3], [4].
Die Auswirkungen verschiedener Auswahlverfahren auf den Studienerfolg, meist beschränkt auf den ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung, sind auf vielfältige Weise untersucht worden [5], [6], [7], [8]. Traditionell spielen bei der Studierendenauswahl in Deutschland das Abitur [9], [10], [11], [12], Eignungstests [13], [14], [15] und Auswahlgespräche [16], [17], [18], [19] die größte Rolle, obwohl sie unterschiedlich gut geeignet sind, die besten Studierenden auszuwählen.
Vielfalt und Bedeutung der Auswahlverfahren erklären sich durch die Komplexität des Medizinstudiums, die hohen Kosten pro Studienplatz und die zentrale Rolle von Ärztinnen und Ärzten im Gesundheitswesen. Von den Studierenden wird erwartet, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit das Studium ohne größere Verzögerungen abschließen. Generell gilt: Je besser die Abiturnote (oder der TMS), desto wahrscheinlicher ist es, dass die Studierenden diesen Anforderungen gerecht werden, was zu weniger Abbrüchen, kürzeren Studienzeiten und besseren Noten führt [5], [7], [8], [9], [10].
Das aktuellste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Thema Studierendenauswahl [https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/EN/2017/12/ls20171219_1bvl000314en] bestätigt, dass auch aus rechtlich-formaler Sicht die Eignung das entscheidende Kriterium bei der Vergabe begrenzter Studienplätze durch staatliche Institutionen sein muss. „Eignung“ wird anhand der Anforderungen des jeweiligen Studiengangs und der typischerweise folgenden beruflichen Tätigkeiten gemessen, die im Fall der Humanmedizin äußerst vielfältig sein können [8], [20].
Studienplätze dürfen allerdings nicht ausschließlich auf Grundlage kognitiver Kriterien vergeben werden, da dies das Grundrecht auf freie Berufswahl verletzen würde. Mit seinem Urteil erklärte das BVerfG die jahrzehntelange Praxis der Studienplatzvergabe, insbesondere die Wartezeitregelung, in Teilen für verfassungswidrig. Dies führte dazu, dass die Bundesländer ab 2020 die Vergaberegelungen für Studienplätze überarbeiten mussten [12], was wir unten näher erörtern.
Bezüglich der Frage, wie sich Änderungen der Auswahlkriterien auf den Studienerfolg in einem unveränderten Curriculum auswirken, liegen bislang nur wenige Daten vor. An diesem Punkt setzt unsere Studie an und präsentiert erste Ergebnisse zu den Auswirkungen des Urteils des BVerfG anhand einer vergleichenden Untersuchung an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
1.2. Zulassungsquoten
Bis einschließlich 2019 wurden, nach der Vergabe von Studienplätzen über Vorabquoten (Nicht-EU-Ausländer, Sanitätsoffiziere, Härtefälle und Zweitstudierende), 60 % der verfügbaren Plätze an der MHH anhand einer Kombination aus Abiturnote und Auswahlgespräch (AdH-Quote) vergeben. Im Rahmen dieses Zulassungsverfahrens wurden Bewerberinnen und Bewerber zunächst auf Basis ihrer Abiturnote vorausgewählt. Alle eingeladenen Kandidaten wurden dann auf Grundlage einer gewichteten Punktzahl, bestehend aus 51% Abiturnote und 49% Gesprächsergebnis, gereiht. Formal dominierte das Abitur, was zu dieser Zeit eine politische Vorgabe war, aber die Platzierung der Bewerberinnen und Bewerber wurde durch ihre Gesprächsleistung bestimmt [19].
Während die MHH direkten Einfluss auf die AdH-Kriterien hatte, wurden Plätze für die besten Abiturientinnen und Abiturienten (AQ-Quote) sowie für die Warteliste (WQ) zentral vergeben. Die AQ-Quote gewährt eine direkte Zulassung basierend auf einem herausragenden Abitur. Bewerberinnen und Bewerber, deren Noten weder für die AQ-Quote noch für die Teilnahme am Auswahlverfahren ausreichten, wurden auf eine Warteliste gesetzt. Je schlechter die Abiturnote, desto länger die Wartezeit, die sich bei jüngeren Jahrgängen auf mindestens sieben Jahre erstreckt hat. Viele Personen auf der Warteliste haben diese Zeit mit einer Berufsausbildung im medizinischen Bereich, typischerweise als Pflegekraft oder Rettungssanitäter, überbrückt.
Der Abschluss des im linken Bild von Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellten Prozesses erfolgte nach dem wegweisenden Gerichtsurteil des BVerfG, das die Wartezeitregelung für verfassungswidrig erklärt hat und eine größere Vergleichbarkeit und Standardisierung der Zulassungskriterien fordert [https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/EN/2017/12/ls20171219_1bvl000314en]. Die Auswahl auf Basis der Abiturnote wurde durch das Urteil grundsätzlich bestätigt. Allerdings müssen in jedem Auswahlverfahren auch nicht-kognitive Kriterien berücksichtigt werden, und das Abitur darf in einer Teilquote nicht mehr das alleinige Auswahlkriterium sein.
Abbildung 1: Zulassungsquoten an der MHH
Anmerkungen: AQ – Studienplätze werden zentral an die Bewerber mit den besten Abiturdurchschnittsnoten vergeben. AdH (hochschuleigenes Auswahlverfahren) – Bis 2019 kombinierte das AdH an der MHH ein Auswahlgespräch mit der Abiturnote. Seit 2020 erfolgt die Zulassung über AdH1 anhand von 50% Abiturnote, 30% Ergebnis eines Studierfähigkeitstests (TMS) und 20% freiwilligem sozialen Dienst. Im AdH2 ist das dichotome 20%-Kriterium eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem medizinisch relevanten Bereich. WQ (Wartezeitquote) – Nach ihrer Abiturnote wurden erfolglose Bewerber auf eine Warteliste gesetzt. ZEQ (Zusätzliche Eignungsquote) – An der MHH kombiniert diese Quote 60% für eine abgeschlossene Berufsausbildung und 40% für das Ergebnis eines Studierfähigkeitstests (TMS).
Ab dem Jahr 2020 führte das Gerichtsurteil zu einer Erhöhung der AQ-Quote von 20% auf 30% der verfügbaren Plätze. Die WQ-Quote wurde durch eine „Zusätzliche Eignungsquote“ (ZEQ) ersetzt, die nun 10% der Studienplätze ausmacht. Im Gegensatz zur WQ werden die Kriterien für die ZEQ von den Universitäten festgelegt. An der MHH ist diese Quote für Personen mit Berufserfahrung im medizinischen Bereich reserviert; deren Rangfolge wird durch die Leistung im TMS bestimmt, die Abiturnote findet keine Berücksichtigung.
In der AdH-Quote haben die Universitäten einen gewissen Spielraum bei der Auswahl der Kriterien behalten. An der MHH wurden die Auswahlgespräche eingestellt. Stattdessen wird die Rangliste, die die Zulassung bestimmt, nun aus 50% Abiturnote, 30% Eignungstest und 20% für ein nicht-kognitives Kriterium gebildet. In der AdH2-Teilquote (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) ist dieses nicht-kognitive Kriterium eine abgeschlossene Berufsausbildung im medizinischen Bereich, und in der AdH1-Teilquote ein abgeleisteter freiwilliger (militärischer, ziviler oder sozialer) Dienst. Durch die 20%-Gewichtung eines binären Kriteriums haben praktisch alle zugelassenen Studierenden entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen freiwilligen Dienst absolviert.
1.3. Forschungsziele
Studierfähigkeitstests, wie der TMS, spiegeln andere kognitive Fähigkeiten wider als die Abiturnote. Eine höhere Gewichtung solcher Tests kann daher zu einer Verschiebung in der Zusammensetzung der Studierendenschaft führen [21] und möglicherweise den Studienerfolg beeinflussen. Kadmon und Kadmon [13] zeigen, dass Studierende mit durchschnittlichen Abiturnoten, aber hohen TMS-Ergebnissen, bessere vorklinische Leistungen erzielen als solche mit exzellenten Abiturnoten und moderater TMS-Leistung. Die stärkere Betonung des TMS (insbesondere innerhalb der ZEQ) lässt vermuten, dass ein ähnlicher Trend auch an der MHH zu erwarten ist. Daher besteht unser Ziel darin, zu untersuchen, wie sich die Abiturnoten der Studierenden unter den neuen Zulassungsverfahren entwickelt haben und ob diese Änderungen den Studienerfolg innerhalb und zwischen den Quoten AQ, AdH und WQ/ZEQ beeinflussen.
Da die Regelungen für die AQ-Quote unverändert geblieben sind, während Studierende, die über diese Quote zugelassen wurden, denselben allgemeinen Schwankungen im Curriculum oder in Prüfungsanforderungen unterliegen, betrachten wir die Abiturbesten in unseren Analysen als Referenzgruppe.
2. Daten und Methodik
2.1. Setting
Für die vorliegende Studie analysieren wir Daten aus den ersten beiden Studienjahren des Modellstudiengangs „HannibaL“ an der MHH. Die ersten beiden Studienjahre umfassen Module in einem Propädeutikum, Zellbiologie, Anatomie, Chemie & Biochemie, Physik & Physiologie, Soziologie & Psychologie, Humangenetik und Diagnostische Methoden. Diese Module legen den Schwerpunkt auf naturwissenschaftliche, medizinische und klinische Grundlagen. Im Modellstudiengang HannibaL werden einige Kurse früher mit klinischen Themen und am Krankenbett gelehrten Inhalten verknüpft, als in Regelstudiengängen an anderen medizinischen Fakultäten.
Die meisten Module werden mit Multiple Choice (MC) Prüfungen bewertet; in Anatomie und Physiologie werden zusätzlich mündliche Prüfungen durchgeführt. Das Modul „Diagnostische Methoden“ wird am Ende des zweiten Studienjahres mit einer Objective Structured Clinical Examination (OSCE) geprüft. Alle Prüfungen werden auf einer Skala von 1 („sehr gut“) bis 4 („ausreichend“) bewertet. Nicht bestandene Prüfungen können zweimal wiederholt werden. Drei nicht bestandene Prüfungen in einem Kurs können zur Zwangsexmatrikulation führen. Unter Berücksichtigung von verspäteten Studierenden und wiederholten Prüfungen liegt die durchschnittliche Note in der für diese Studie verwendeten Stichprobe bei 2,23 (SD: 0,67) bzw. 80,89% (SD: 7,45%), was einer Bewertung von „befriedigend bis gut“ entspricht, mit einer Durchfallquote von etwa 6%. Ab dem dritten Studienjahr bewegen sich die Noten an der MHH typischerweise zwischen 1 und 2 (über 85% richtig beantwortete Fragen in MC-Prüfungen), wobei die Durchfallquote in der Regel unter 1% liegt.
Das Bestehen aller Prüfungen führt zur sogenannten „M1-Äquivalenz“ (M1*), die dem Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (M1) nach den ersten beiden Studienjahren in regulären Studiengängen entspricht [2]. An der MHH können Studierende Kurse in der stärker klinisch orientierten Phase (beginnend im dritten Studienjahr) auch ohne eine abgeschlossene M1* besuchen. Dies ist mit dem regulären Staatsexamen am Ende der vorklinischen Phase (M1) nicht möglich [3].
2.2. Daten
Wir beziehen fünf Kohorten in unsere Studie ein: Studierende, die über das Verfahren mit Warteliste und Auswahlgesprächen zugelassen wurden (2017–2019), sowie die ersten beiden Kohorten, die über die reformierten Zulassungsquoten aufgenommen wurden (2020–2021). Wir konzentrieren uns hauptsächlich aus zwei Gründen auf diese Kohorten: Erstens erwarten wir, dass die Studierenden der Kohorte 2021 bis Oktober 2023 die M1*-Äquivalenz innerhalb der regulären Studiendauer abgeschlossen haben. Die Kohorte 2022 wird voraussichtlich erst im Herbst 2024 die M1*-Äquivalenz erreichen. Zweitens stehen die Kohorten 2017-2019 zeitlich nahe an den Zulassungsreformen von 2020, und ihre Daten können im Hinblick auf das Abitur, die demografische Zusammensetzung und die curricularen Voraussetzungen als vergleichbar mit den Kohorten 2020-2021 angesehen werden. Informationen zu den Beobachtungen pro Quote und Zulassungszeitraum sind in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.
Tabelle 1: Soziodemographische Statistiken
In der vorliegenden Studie schließen wir Studierende aus, die über Vorabquoten zugelassen wurden, da sie nicht an dem in Abbildung 1 [Abb. 1] skizzierten Zulassungsverfahren teilnehmen.
2.3. Studienvariablen
Für unsere Analyse des Studienerfolgs innerhalb und zwischen den Quoten und Kohorten verwenden wir drei Indikatoren: zwei, die das Vorliegen oder Fehlen von Erfolg anzeigen (dichotome Variablen), und einen, der das „Ausmaß“ des Studienerfolgs misst.
Um die Ja/Nein-Indikatoren zu analysieren, betrachten wir zunächst deskriptiv Studienabbrüche (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Diese definieren wir als Exmatrikulationen ohne M1*-Abschluss mit den selbst angegebenen Gründen „Studienabbruch“, „fehlende Rückmeldung“, „endgültig nicht bestandene Prüfungen“ oder andere, nicht spezifizierte Gründe. Um Verzerrungen zwischen der Kohorte 2021 und Studierenden früherer Jahrgänge zu vermeiden, berücksichtigen wir nur Abbrüche innerhalb der ersten beiden Studienjahre. Ältere Kohorten hatten schlichtweg mehr Zeit für Misserfolge oder Abbrüche, was mit mangelndem Studienfortschritt wahrscheinlicher wird [3].
Abbildung 2: Studienabbrüche in den drei analysierten Zulassungsquoten
Anmerkungen: Ein Studienabbruch wird definiert als Exmatrikulation aufgrund von Abbruch des Studiums, fehlender Rückmeldung, endgültig nicht bestandenen Prüfungen oder anderen nicht näher spezifizierten Gründen. Die Motive für den Studienabbruch basieren auf Selbstauskünften. Um Ungleichgewichte zwischen den Kohorten zu vermeiden, werden nur die ersten zwei Jahre nach der Immatrikulation berücksichtigt. AQ: Abiturbesten-Quote; WQ: Wartezeitquote; ZEQ: Zusätzliche Eignungsquote; AdH: Auswahlquote der Hochschule, siehe auch Abb. 1. Unterschiede in den Abbruchquoten innerhalb der Zulassungsquoten sind statistisch nicht signifikant (d.h. p≥0,05, zweiseitiger t-Test).
Unser Schwerpunkt liegt jedoch auf einem Indikator, der den rechtzeitigen Studienfortschritt misst – also, ob alle schriftlichen Prüfungen (plus den OSCE), die wir hier zusammenfassend als M1* bezeichnen, innerhalb der regulären zweijährigen Studiendauer abgelegt und bestanden wurden. Dies bedeutet, dass alle Prüfungen entweder im ersten Versuch oder spätestens in der Wiederholungsprüfung, die typischerweise wenige Wochen später stattfindet, mit einer Mindestnote von 4 („ausreichend“) bestanden werden müssen. Wird eine Prüfung (oder ein Teil davon) innerhalb dieses Zeitraums nicht bestanden oder nicht abgelegt, erhält der Indikator den Wert 0, d. h. es liegt kein Studienerfolg in der Dimension „Studienfortschritt“ vor.
Diese sehr strenge Definition hat eine valide Begründung: Unsere Daten reichen bis Oktober 2023 und umfassen somit eine Studiendauer von zwei Jahren für die Kohorte 2021. Studierende aus früheren Jahrgängen hatten naturgemäß mehr Zeit, ihre Prüfungen zu bestehen. Tsikas & Fischer [3] haben gezeigt, dass insbesondere WQ-Studierende diese zusätzliche Zeit benötigten und dass verspätete Studierende unabhängig von der Quote signifikant schlechtere Prüfungsergebnisse erzielten. Ohne eine Begrenzung auf zwei Jahre würden wir daher die Erfolgsrate bei M1*-Abschlüssen für Kohorten vor 2021 überschätzen.
Für das Ausmaß des Studienerfolgs verwenden wir den ungewichteten Mittelwert des prozentualen Ergebnisses aller schriftlichen (MC-)Prüfungen und der OSCE in den ersten beiden Studienjahren. Wir schließen dabei nur jene Studierenden ein, die M1* rechtzeitig erreicht haben, um Verzerrungen zu vermeiden, da Verzögerungen mit schlechteren Prüfungsergebnissen korrelieren [3]. Ohne diese Einschränkung würde der Prüfungserfolg der Kohorten 2020 und insbesondere 2021 im Vergleich zu älteren Kohorten überschätzt.
Zu den soziodemografischen Variablen, die uns zur Verfügung stehen, gehören die Abiturnote, Geschlecht, Alter bei der Immatrikulation, Bildungsweg und die Wartezeit zwischen dem Schulabschluss und der Immatrikulation an der MHH (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).
2.4. Empirisches Vorgehen
Mit unseren Analysen möchten wir veranschaulichen, wie sich der Studienerfolg innerhalb und zwischen den Auswahlquoten nach der Änderung des Zulassungsverfahrens entwickelt hat. Die drei Gruppen (AQ, AdH, WQ oder ZEQ) und die zwei unterschiedlichen Quotensysteme (vor und nach 2020) bilden ein faktorielles 2×3-Design, das mithilfe von ANOVA und post-ANOVA-Statistiken analysiert wird. Zusätzlich zu den Haupt- und Interaktionseffekten kontrollieren wir für Geschlecht, Bildungsweg und in einer Variante zusätzlich für die Abiturnote und das Alter – Faktoren, die die zentralen Unterschiede zwischen den Quoten ausmachen, insbesondere mit einer deutlichen Abgrenzung zwischen AQ und WQ oder ZEQ.
Unser Interesse geht jedoch über die Stärke der Zusammenhänge zwischen Studienerfolg, Quoten und Zulassungsverfahren (ANOVA) hinaus. Wir möchten den Studienerfolg und die Unterschiede zwischen den Quoten (vor und nach den Verfahrensänderungen) in Prozent quantifizieren. Dazu berechnen wir post-ANOVA partielle Effekte und stellen diese grafisch dar (siehe Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4]). Ergebnisse definieren wir als statistisch signifikant, wenn p<0,05.
Abbildung 3: Anteil Studierender, die alle Prüfungen in Regelstudienzeit bestehen (per Zulassungsquote)
Notes: Die Symbole zeigen den (geschätzten) Anteil der Studierenden, die alle schriftlichen Prüfungen und die OSCE in der M1*-Phase innerhalb der Regelstudienzeit bestehen, getrennt nach Zulassungsquote und Kohorten-Indikator. Abb. 3 stellt den Interaktionsterm des Modells (1) in Tab. 2 grafisch dar, kontrolliert für Geschlecht und Schulform, an der das Abitur erworben wurde. 95%-Konfidenzintervalle werden durch Balken dargestellt.
Abbildung 4: Durchschnittlicher Prüfungserfolg in schriftlichen Prüfungen (per Zulassungsquote)
Anmerkungen: Die Symbole zeigen die (geschätzten) durchschnittlichen Prozent der erreichten Punkte in allen schriftlichen Prüfungen und des OSCE in der M1*-Phase, getrennt nach Zulassungsquote und Kohorten-Indikator. Abb. 4 stellt den Interaktionsterm des Modells (3) in Tab. 2 grafisch dar, kontrolliert für Geschlecht und Schulform, an der das Abitur erreicht wurde. 95%-Konfidenzintervalle werden durch Balken dargestellt.
3. Ergebnisse
3.1. Soziodemographie
In Tabelle 1 [Tab. 1] zeigen wir, dass es keine Unterschiede in der soziodemographischen Zusammensetzung der AQ-Studierenden zwischen 2017-2019 und 2020-2021 gibt. Dieses Ergebnis bestätigt die Verwendung von AQ als Referenzgruppe. Nach den Anpassungen im Auswahlverfahren sind die Abiturnoten (eine höhere Note zeigt eine schlechtere Leistung an) in den anderen Quoten statistisch signifikant angestiegen, von 1,3 auf 1,5 (AdH) und von 2,4 auf 2,6 (WQ/ZEQ), begleitet von moderaten bis starken Effektstärken (Cohen‘s d).
Innerhalb der ZEQ-Quote sind die Wartezeit und folglich das Alter der Studienanfänger signifikant gesunken (mit moderaten Effektstärken), was vermutlich auf die kompensatorische Rolle des Tests für medizinische Studiengänge (TMS) anstelle der Abiturnote zurückzuführen ist. Eine bemerkenswerte Beobachtung in der WQ/ZEQ-Quote ist ein statistisch signifikanter Anstieg um 20 Prozentpunkte bei Studierenden, die ihr Abitur an einem regulären Gymnasium erworben haben.
In der AdH-Quote hat die 20%-Gewichtung von freiwilligen Diensten und beruflicher Ausbildung zu einem signifikanten Anstieg des Alters (zum Zeitpunkt der Immatrikulation) mit einer moderaten Effektstärke geführt, was zu einer durchschnittlichen zweijährigen Lücke zwischen dem Abitur und der Zulassung zum Medizinstudium führt.
Eine MANOVA mit den in Tabelle 1 [Tab. 1] enthaltenen Variablen zeigt signifikante multivariate Unterschiede zwischen den Kohorten für AdH (F(5, 775)=44,38; p<0,001) und WQ/ZEQ (F(5, 155)=5,84; p<0,001), jedoch nicht für AQ (F(5, 264)=2,19; p=0,056). Eine Zweifaktor- MANOVA zeigt, dass der Haupteffekt der Unterschiede in den soziodemografischen Merkmalen zwischen den Quoten (F=685,85; p<0,001) den Haupteffekt der Änderung im Zulassungsverfahren (F=15,60; p<0,001) und den Interaktionseffekt (F=13,31; p<0,001) deutlich übertrifft.
3.2. Studienabbrüche
In Abbildung 2 [Abb. 2] zeigen wir, dass Studienabbrüche bei AdH und WQ/ZEQ nach den Änderungen des Zulassungsverfahrens zurückgegangen sind. Diese Veränderungen sind jedoch statistisch nicht signifikant (t-Test; p=0,214 für AdH, p=0,719 für WQ/ZEQ). Die Effektstärken (Cohen’s d) liegen unter 0,1 und sind somit vernachlässigbar.
Zwischen AQ und AdH finden wir weder für alten Zulassungsverfahren (p=0,822; d=0,023) noch für die Kohorten 2020–2021 (p=0,175; d=0,020) signifikante Unterschiede bei Studienabbrüchen. Auch die Unterschiede zwischen AQ und WQ sind nicht signifikant (p=0,146) und weisen eine geringe Effektstärke (d=0,194) auf. Dasselbe gilt für den Vergleich von AQ und ZEQ (p=0,409; d=0,131). Der 5-Prozentpunkte-Unterschied zwischen AdH und WQ ist jedoch statistisch signifikant (p=0,021) mit einer Effektstärke von d=0,246. Diese Differenz zeigt sich auch im Vergleich von AdH und ZEQ (p=0,038; d=0,304).
In allen Fällen liegen die beobachteten Studienabbrüche bei Berufserfahrenen und Wartelisten-Studierenden an der MHH niedriger als an anderen Fakultäten [15].
Die Mehrheit der Studienabbrüche erfolgt innerhalb der ersten beiden Studienjahre, was mit dem Zeitraum unserer Analyse übereinstimmt. Tsikas & Fischer [3] berichteten, dass WQ-Studierende an der MHH länger immatrikuliert waren, bevor sie exmatrikuliert wurden. Folglich könnte die Rate der Studienabbrüche in dieser Quote (d. h. Studierende, die ihren Abschluss nicht machen) 1-2 Prozentpunkte über den in Abbildung 2 angegebenen Werten liegen. Für ZEQ ist es noch zu früh, eine abschließende Aussage zu treffen.
3.3. Studienfortschritt und Prüfungserfolg
Die ANOVA in Spalte (1), Tabelle 2 [Tab. 2], zeigt einen statistisch signifikanten, jedoch sehr schwachen (hinsichtlich F-Werten und Effektstärken) Zusammenhang zwischen Zulassungsquoten und Studienfortschritt. Weder die Anpassungen der Zulassungsquoten („Zeitraum“) noch der Interaktionseffekt sind mit dem Studienfortschritt assoziiert. Wie in Spalte (1) dargestellt, besteht ein moderater Zusammenhang zwischen dem Besuch eines Gymnasiums und dem rechtzeitigen Erreichen des M1*: WQ-Studierende haben signifikant seltener ein Gymnasium besucht als AQ- und AdH-Studierende. Mit dem Übergang von WQ zu ZEQ hat sich diese Lücke jedoch verringert (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).
In Spalte (2) fügen wir die Abiturnote und das Alter als zusätzliche Kontrollvariablen hinzu. Besonders das Alter spielt eine entscheidende Rolle für den rechtzeitigen Studienfortschritt – ältere Studierende erreichen M1* häufiger mit Verzögerungen. Diese zusätzlichen Variablen beeinflussen auch die anderen Prädiktoren, insbesondere wird ein erheblicher Teil des in Spalte (1) beobachteten Einflusses der Variable „Gymnasium“ absorbiert. Die Aufnahme dieser beiden Variablen verbessert die Gesamt-Erklärungskraft des Modells. Tabelle A2 im Anhang 1 [Anh. 1] enthält post-ANOVA Contrasts für alle in Tabelle 2 [Tab. 2] berücksichtigten Variablen.
Die Spalten (3) und (4) in Tabelle 2 [Tab. 2] zeigen die Ergebnisse der ANOVA mit dem Prüfungserfolg als abhängige Variable. Insgesamt haben die Quoten einen stärkeren Einfluss auf die Prüfungsleistungen als auf den Studienfortschritt, insbesondere ist die Effektstärke relativ hoch. Die Änderung des Zulassungsverfahrens selbst hat keinen Einfluss, und der Interaktionseffekt ist statistisch signifikant, jedoch schwach. Der Besuch eines Gymnasiums ist mit besseren Prüfungsleistungen verbunden. Das Alter (Spalte (4)) spielt hier keine Rolle, wohl aber die Abiturnote, die einen Großteil der Unterschiede zwischen den Quoten erklärt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Quoten, Zulassungsverfahren und Kovariablen die Dimension „Prüfungserfolg“ besser erklären als die Dimension „Studienfortschritt“.
Tabelle A1 im Anhang 1 [Anh. 1] zeigt deskriptive Statistiken für die drei Maße des Studienerfolgs analog zu Tabelle 1 [Tab. 1].
Die Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4] veranschaulichen die Unterschiede im Studienfortschritt und im Prüfungserfolg zwischen Zulassungsquoten und Kohorten. Abbildung 3 [Abb. 3] zeigt, dass Studierende aus der WQ-Quote (Kohorten 2017-2019) signifikant seltener rechtzeitig M1* erreicht haben als AQ- und AdH-Studierende. Nach der Änderung des Zulassungsverfahrens hat sich die Lücke zwischen (nun) ZEQ und den anderen Quoten verringert. In allen Quoten ist ab 2020 eine häufigere Einhaltung der Regelstudienzeit zu beobachten. Der Unterschied zu 2017-2019 ist jedoch nicht statistisch signifikant (wie durch überlappende 95%-Konfidenzintervalle angezeigt). Für ZEQ gibt es einen Anstieg von über 10 Prozentpunkten im Vergleich zu WQ, doch aufgrund der kleinen Stichprobengröße sind die Konfidenzintervalle breit.
Abbildung 4 [Abb. 4] zeigt, dass der Prüfungserfolg in AQ und WQ/ZEQ vor und nach der Änderung des Zulassungsverfahrens praktisch unverändert bleibt. Bei AdH beobachten wir einen signifikanten Anstieg von etwa 3 Prozentpunkten bei den korrekten Antworten in schriftlichen Prüfungen. Sowohl WQ als auch ZEQ schneiden signifikant schlechter ab als AQ und AdH, und der Abstand zu letzterer Quote hat sich seit 2020 leicht vergrößert. Durchschnittlich erreichen ZEQ-Studierende mit M1* in Regelstudienzeit jedoch immer noch eine „gute“ (B) Note mit etwa 80% korrekter Antworten. In den Jahren 2017-2019 und auch ab 2020 übertreffen AQ ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus der AdH-Quote. Diese Leistungsdifferenz hat sich jedoch für die Kohorten 2020–2021 im Vergleich zu den bis 2019 Zugelassenen signifikant verringert (siehe Split-Sample-Analyse in Tabelle A3 des Anhangs 1 [Anh. 1]). Ein Vergleich der Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4] sowie der deskriptiven Statistiken in Tabelle A1 des Anhangs 1 [Anh. 1] legt nahe, dass die soziodemografischen Kontrollvariablen nur einen geringen Einfluss auf den Studienfortschritt und den Erfolg in Prüfungen haben.
4. Diskussion
Unsere Analysen zu den Auswirkungen von Anpassungen der Studierendenauswahl an deutschen medizinischen Hochschulen zeigen, dass die Stärkung des TMS und nicht-kognitiver Kriterien (an der MHH beispielsweise Berufserfahrung oder Freiwilligendienst) auf Kosten der Abiturnote keinen negativen Einfluss auf den Studienerfolg haben. Im Gegenteil zeigen wir, dass ZEQ-Studierende (bei denen der TMS die Rangfolge bestimmt) tendenziell eher in Regelstudienzeit studieren als WQ-Studierende (bei denen die Abiturnote maßgeblich war). Zudem ist der Leistungsabstand von ZEQ zu AQ und AdH geringer als zuvor bei WQ.
Hinsichtlich des Prüfungserfolgs schneiden AdH-Studierende, die nach 2019 zugelassen wurden, besser ab als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, die durch Interviews (und Abiturnoten) ausgewählt wurden, und konnten auch signifikant zu den AQ-Studierenden aufschließen.
Unsere Ergebnisse ergänzen eine weitere aktuelle Studie an der MHH, die zeigt, dass WQ- und Vorabquoten-Studierende, die in der frühen Phase ihres Studiums (M1*) Leistungsdefizite und signifikante Verzögerungen aufweisen, bis zum M2-Abschnitt teilweise zu AQ- und AdH-Studierenden aufschließen können, auch wenn Notenunterschiede bestehen bleiben [3]. Die Autoren dieser Studie argumentieren, dass die Studiengangsstruktur an der MHH, die es Studierenden ermöglicht, sich in klinische Module einzuschreiben, auch wenn sie M1* noch nicht abgeschlossen haben, diesen Fortschritt unterstützt. Wir kommen zu dem Schluss, dass die Zulassung von Bewerberinnen und Bewerbern mit Berufserfahrung auf Basis ihrer TMS-Ergebnisse anstelle der Abiturnote diese Anpassung weiter erleichtert und Unterschiede bereits in der M1*-Phase verringern könnte.
Berufserfahrene Studierende bringen zum Zeitpunkt ihrer Immatrikulation bereits wichtige Kompetenzen und praktische Fertigkeiten mit. Dieser Vorteil (im Vergleich zu Abiturienten mit Spitzenleistungen) wird in Prüfungen zu praktischen und kommunikativen Fähigkeiten deutlich, wo Leistungsunterschiede zwischen den Quoten oft nicht festzustellen sind [22], [23], [24], [25], [26]. In Regelstudiengängen, in denen Module mit praktischer-klinischer Ausrichtung erst nach Bestehen von M1 angeboten werden, können Studierende, die diese „Hürde“ nicht überwinden (hauptsächlich Berufserfahrene), ihre Stärken jedoch nicht ausspielen.
Die Abiturnote als (alleiniges) Auswahlkriterium wurde in den letzten Jahren zunehmend kritisiert, da insbesondere exzellente Abiturnoten inflationär zugenommen haben, was die Selektivität des NC-Kriteriums einschränkt, und da ein Spitzen-Abitur tendenziell häufiger bei einer sozioökonomisch eng definierbaren Gruppe vorkommt.
Wir betonen jedoch ausdrücklich, dass unsere Ergebnisse die Gültigkeit des Abiturs als Auswahlkriterium nicht infrage stellen; schließlich bleiben AQ-Studierende die insgesamt erfolgreichste Gruppe, basierend auf den uns zur Verfügung stehenden Parametern für den Studienerfolg. Vielmehr zeigen unsere Ergebnisse, dass die Kriterien zur Auswahl der geeignetsten Bewerberinnen und Bewerber erweitert werden können, um Dimensionen wie medizinische Vorerfahrungen oder Lebenserfahrungen (durch soziales Engagement) einzubeziehen, ohne dass der Studienerfolg darunter leidet – sofern ein kognitives Kriterium wie der TMS einbezogen wird.
Aus unserer Sicht ist eine „Diversifizierung“ der Studierendenschaft ein angemessenes und erstrebenswertes Ziel, solange die Auswahl der besten Kandidatinnen und Kandidaten auf Kriterien basiert, die mit Studien- und Berufserfolg assoziiert sind. In diesem Sinne sollten Bemühungen, den Zugang zu medizinischen Hochschulen zu erweitern, darauf abzielen, Chancengleichheit vor dem Eintritt in den tertiären Bildungssektor zu stärken [25], anstatt auf eine bevorzugte Behandlung „benachteiligter“ Gruppen im Sinne von Ergebnisgleichheit („equality of outcome“), wie sie manchmal gefordert wird und der die Autoren sehr kritisch gegenüberstehen.
Ein Blick auf andere medizinische Fakultäten in Deutschland [26], [27] zeigt, dass die meisten Standorte mit Anpassungen ihrer Auswahlverfahren reagiert haben, die mit der MHH vergleichbar sind. Berufsausbildung, TMS sowie Zivil- oder andere gesellschaftliche Dienste werden häufig für AdH und ZEQ berücksichtigt, wobei ihre Gewichtung variiert. Komplexere Instrumente wie Multiple Mini-Interviews (MMI) oder Persönlichkeitstests sind weniger verbreitet. Insgesamt hat der Einfluss der Abiturnote nicht zugenommen, obwohl AQ bundesweit von 20% auf 30% erhöht wurde.
Aus einer hochschulpolitischen Perspektive sehen wir zwei übergeordnete Ziele hinter den Änderungen der Zulassungsverfahren: Erstens den Versuch, mit internationalen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte (insbesondere im anglo-amerikanischen Raum oder in den Niederlanden) hin zu einer kompetenzbasierten medizinischen Ausbildung Schritt zu halten, und zweitens die Stärkung der Allgemeinmedizin in Deutschland, was sich in der sogenannten „Landarztquote“ widerspiegelt (einer Vorabquote mit einem mehrstufigen Auswahlverfahren einschließlich Abitur, TMS, Berufsausbildung & Berufserfahrung sowie einem Interview als Kriterien).
Eine Limitation unserer Studie ist, dass uns weder TMS-Ergebnisse noch Informationen über Berufsausbildung oder Freiwilligendienste vorlagen. Während der TMS vermutlich den Leistungsvorteil von ZEQ gegenüber WQ erklärt, kann dies hier nicht empirisch validiert werden; die Studierendenstatistik an der MHH macht bisher nicht kenntlich, welche AdH-Studierenden über Sub-Quote 1 (Freiwilligendienst) oder 2 (Berufsausbildung) zugelassen wurden. Für die Betrachtung des Prüfungserfolgs mussten wir zwei mündliche Prüfungen ausschließen, da diese nur auf einer Skala von 1-4 bewertet werden und daher nicht für unseren empirischen Ansatz geeignet waren.
Eine weitere Einschränkung könnte die vorherrschende Verschiebung der Notenskala im Medizinstudium hin zu guten und sehr guten Ergebnissen sein, was mit einer mangelnden Zuverlässigkeit der Prüfungen verbunden sein könnte. Wie in Abschnitt 2.1 kurz erwähnt, ist dieses Problem jedoch in den ersten beiden Studienjahren weniger ausgeprägt als in der klinischen Phase des Studiengangs. Besonders bei ZEQ ist die Stichprobengröße in unserer Studie relativ klein, und es muss berücksichtigt werden, dass in den Jahren 2020 und 2021 die Wartezeit weiterhin eine Rolle im Ranking-Prozess von ZEQ spielte, wenn auch mit abnehmender Bedeutung. Dieser schrittweise Übergang zur „reinen“ ZEQ ab der Kohorte 2022 könnte zu noch deutlicheren Unterschieden zwischen WQ und ZEQ führen, als wir in unserer Studie beobachtet haben.
Die MHH und andere Fakultäten haben Auswahlquoten typischerweise eingeführt oder angepasst, ohne dass diese Entscheidungen durch Evidenz zu Studienerfolg gestützt wurden, und wir glauben, dass diese Studie wertvolle Informationen und eine ex-post-Validierung liefert. Derzeit können wir jedoch nur Belege für den Modellstudiengang an der MHH zeigen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass nur AQ an allen Universitäten einheitlich definiert ist. Alle anderen Quoten variieren aufgrund landes- oder universitätsspezifischer Anforderungen mehr oder weniger stark zwischen den Standorten [26], [27].
Basierend auf den in dieser Studie präsentierten Ergebnissen hat die MHH beschlossen, ab 2024 die Gewichtung der Abiturnote (von 50% auf 30%) zugunsten des TMS (von 30% auf 50%) zu verschieben. Dieser Schritt soll sicherstellen, dass Bewerberinnen und Bewerber mit Berufserfahrung oder abgeschlossenem Freiwilligendienst, die ein sehr gutes TMS-Ergebnis erzielt haben, auch mit einer nur durchschnittlichen Abiturnote eine realistische Chance auf eine Zulassung haben und gegenüber Bewerberinnen und Bewerbern mit einem sehr guten Abitur und einem mittelmäßigen TMS bevorzugt werden. Das reformierte Quotensystem passt somit auch zum HannibaL-Curriculum, das darauf abzielt, Studierende bereits ab dem ersten Semester in die medizinische Praxis und den Patientenkontakt einzuführen.
Anmerkungen
Erklärungen
In dieser Studie haben wir ausschließlich retrospektive, administrative und anonymisierte Daten analysiert. Die Nutzung solcher Daten zu Evaluations-/Forschungs- und Qualitätssicherungszwecken ist durch § 14 Abs. 1-5 der „Immatrikulationsordnung der MHH“ und § 17 Abs. 3 NHG geregelt und macht eine gesonderte Zustimmung durch eine Ethikkommission nicht erforderlich. Daten und Code können auf begründete Nachfrage durch den korrespondierenden Autor bereitgestellt werden.
ORCIDs der Autoren
- Stefanos A. Tsikas: [0000-0001-6642-5456]
- Volkhard Fischer: [0000-0001-8499-9437]
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
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